Kinderpornographie: Ist das Internet wirklich das Hauptproblem? (Teil 2)

Teil 2: Liefert die australische Studie „Child Abuse and the Internet“ wirklich Beweise, dass das Internet zum Wohl der Kinder reglementiert werden muss?

Von FRIEDERIKE BECK

Australien hatte als erstes Land 2001 Einschränkungen des Internets eingeführt. Dieser Reglementierungsprozess ist noch in vollem Gange, und am Beispiel Australien können wir sehen, was Politiker demnächst auch in Europa fordern werden.

Am Beispiel Australien können wir sehen, was Politiker hinsichtlich einer Internet-Zugriffsbegrenzung demnächst auch in Europa fordern werden

Ausschlaggebend für diese neue Form der Zensur war u. a. das 18-seitige Themenpapier von Janet Stanley namens „Child Abuse and the Internet“, das im Sommer 2001 publiziert wurde. Herausgeber ist das Australische Institut für Familienstudien, was vom Commonwealth Department für Familien- und Gemeinschaftsdienste finanziert wird. Das Papier will den Zusammenhang zwischen Kindesmissbrauch und Internet untersuchen, insbesondere: sexuelle Ausbeutung von Kindern; der Zugang von Kindern zu eindeutig sexuellem und anstößigen Material; und die Nutzung des Internets durch Pädophile, um ihre sexuellen Aktivitäten zu legitimieren, zu verstärken und zu erleichtern. Es werden derzeitige Bemühungen beschrieben, um Kindesmissbrauch im Zusammenhang mit dem Internet zu verhindern. Als da sind: „… die Regulierung der Internet-Industrie.“

 

Gleich zu Anfang konstatiert die Arbeit, dass das Internet nie als Massenkommunikationsmedium gedacht war, sondern ursprünglich in den 1950ern vom US-Verteidigungsministerium entwickelt wurde, um die internen Computer des Ministerium miteinander zu verbinden.“ (Hervorheb. in fett v. d. Aut.)

Das Papier übernimmt die Definition für „Kind“ von US-Studien als ein Alter bis einschließlich 17 Jahre. Dies ist einer der methodologischen Schwachpunkte aller Studien, die hier zusammenfassend angeführt werden, denn es erscheint von vorne herein sinnlos, Aussagen über „Kinder“ einer Altersgruppe treffen zu wollen, die viel differenzierter gesehen werden müsste:

Was hat die sexuelle Neugierde pubertierenden Jugendlicher oder junger Erwachsener (fast 18 Jahre!) und deren Besuch entsprechender „anstößiger“ Seiten mit einer 10-Jährigen zu tun, die angeblich unter falscher Identität von einem Chatroom weggelockt und geradewegs in die Hände eines Sittentäters fällt? Antwort: Nichts. Die in Janet Stanleys Papier angeführten Studien meist US-amerikanischer Herkunft, fragen bei „Kindern“ z. B., ob sie im Internet in einem Zeitraum X mit sexuell anstößigen Dingen oder eindeutigen Sex-Angeboten konfrontiert worden seien. Wenn angeblich ein Drittel der „Kinder“ mit „Ja“ antwortete, besagt das gar nichts, wenn nicht altersspezifisch analysiert wird. Nach dieser Definition ist theoretisch auch ein Achtzehnjähriger, der mit einer Sechzehnjährigen kommuniziert, automatisch ein „Pädophiler“. Ich finde diesen Ansatz äußerst diskussionswürdig!

Auch Jugendliche unter „minderjährige Kinder“ zusammenzufassen, erscheint mir nur dazu geeignet, Zahlen dramatischer erscheinen zu lassen, als sie, korrekt besehen, eigentlich sind

Mir ist völlig unklar, warum hier nicht nach Alterskohorten differenziert wird. Jeder, der mit Jugendlichen zu tun hat, weiß, dass Chatrooms sehr beliebt sind. Wie die Massenmedien oft konstatieren (und eifrig fördern), definieren viele Jugendliche beiden Geschlechts ihren Selbstwert heute allein über ihren sexuellen Marktwert (bin ich sexy, schön, attraktiv?). Die Chatinhalte Jugendlicher sind daher häufig von sexuellen Inhalten durchsetzt und beinhalten auch „Anmache“ oder sexuelle Erklärungen und Angebote, die nicht allzu viel zu bedeuten haben. Sprich, sexuelle Themen in Chatrooms sind für eine bestimmte Altersklasse völlig normal. Die verschiedenen Altersgruppen nicht zu berücksichtigen, sondern auch Jugendliche unter „minderjährige Kinder“ zusammenzufassen, erscheint mir nur dazu geeignet, Zahlen dramatischer erscheinen zu lassen, als sie, korrekt besehen, eigentlich sind.

Doch es gibt gleich zu Anfang Ehrlichkeit (Seite 2 der Studie): „Diese Arbeit beinhaltet die verschiedenen Mittel, durch die das Internet eine Quelle von Missbrauch oder Ausbeutung von Kindern und jungen Menschen sein kann (oder dahin führen kann). Im Zentrum des Papiers stehen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und ihr Zugang zu sexuell eindeutigem und anstößigen Material. Obwohl diese Bereiche selbst bezeichnenderweise fast gar nicht untersucht sind, weiß man sogar noch weniger über andere Formen des Kindesmissbrauchs im Zusammenhang mit dem Internet.“ (Hervorheb. in fett v. d. Aut.)

Nun, so hätte man erst einmal aussagekräftige Studien betreiben sollen, oder?

Das Themenpapier berücksichtigt auch nicht unterschiedliches Internet-Verhalten bei Jungen und Mädchen. In meinem Umfeld sind mir pubertierende Mädchen bekannt, die stundenlang chatten müssen, während Jungen stundenlang mit „World of Warcraft“ an der Spielkonsole sitzen. Auch scheint dem Themenpapier die Tatsache unbekannt zu sein, dass Jugendliche für ihre Chats mehr und mehr Webcams benutzen, also ihr Gegenüber im Bild haben, was die Möglichkeit zu einer falschen Identität zunehmend einschränkt.

Stanleys Themenpapier regt an, die Art und die Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Technologien nicht mehr alleine den Wissenschaftlern und vermarktenden Firmen zu überlassen

Über die behauptete zunehmende Zahl von unzüchtigen sexuellen Angeboten in der virtuellen und danach auch in der realen Welt, können die dürftigen Studien in Wahrheit kaum Aussagen machen, da in Chatrooms ja theoretisch eine andere Identität und ein falsches Alter angegeben werden können und Aussagen dazu mithin reine Spekulationen sind. Dies wird auf Seite 3 des Papiers auch eingestanden. Somit ist die Kernthese, dass das Internet bzw. die Chatrooms von Pädophilen bevölkert seinen, lediglich Mutmaßung. Nur überprüfbare Zahlen von (echten) Pädophilen (keine Achtzehnjährigen!), die nach Kontaktaufnahme in Chatrooms, Kinder an einen dunklen Ort locken und zu unzüchtigen Handlungen verführen, diese missbrauchen etc., wären überzeugend. Und damit wartet das Papier nicht auf. Es bezieht sich nur auf diesbezügliche Behauptungen einer Schrift des in Teil 1 dieses Beitrags erwähnten Cyberanwalts Parry Aftab (aus dem Duo Sellier/Aftab), die dieser in keinster Weise belegt.

Das kann jedoch nicht daran hindern, einfach weiter zu fordern, dass Internet einzuschränken. Stanley zitiert aus einer Arbeit von Chifley („Why Censorship is good“, 1999), der glaubt, dass „kluge Zensur“ benötigt wird, um den ausbeuterischen Aspekt der Gesellschaft zu kontrollieren. Es sei besser zu riskieren, ein paar Erwachsenenrechte auf ungeschmälertes Vergnügen einzuschränken als die Rechte der Kinder zu gefährden.

Die Studie vermeldet, dass 2000 auch in Australien eine Organisation, und zwar kIDs.ap, von „World Citizens Movement to Protect Innocence in Danger“ 2000 gegründet wurde, die sich im asiatisch-pazifischen Raum für das Verschwinden von Kinderpornographie und die Ausmerzung der Aktivitäten von pädophilen Kinderbelästigern im Netz bemüht. Warum kümmern sich diese Organisationen nicht um die Bekämpfung von Kindermissbrauch in der realen Welt, in einer Weltgegend die wahrhaftig von Kindermissbrauch, Kinderprostitution etc., geplagt ist? Dies scheint wenig zu interessieren. Dafür umso mehr das Internet.

Die australische Internetindustrie wandte sich strikt gegen die von ihr geforderte Überwachung der Inhalte, denen sie Zugang ins Netz gibt. Dennoch führte die australische Rundfunkbehörde ABA 2001 die Bestimmung ein, dass alle Internetprovidern gehalten sind, aktiv die Inhalte, die sie ins Netz stellen, zu überprüfen, zu überwachen und zu bewerten. Wenn die ABA verbotenes Material feststellt, wird die Vereinigung der Internetindustrie informiert und zur Entfernung des Inhalts auf dem entsprechenden Server aufgefordert. Außerdem müssen Internetprovider ihre Kunden über Filtersoftware informieren.

Der Sturm auf die Bastille des Fernsehens und der Printmedien hat bereits stattgefunden und die Überreste der überflüssig gewordenen Leitmedien werden gerade geschleift

In Australien werden weitere Maßnahmen diskutiert, u. a., dass sich die Internetindustrie an den Kosten für Aufklärung über und Prävention von Kindesmissbrauch beteiligen soll und Lizenzen für Provider (ISP) in diesem Sinne an ein Besteuerungssystem geknüpft werden.

Stanleys Themenpapier regt an, generell die Art und die Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Technologien nicht mehr alleine den Wissenschaftlern und vermarktenden Firmen zu überlassen.

Das kann nur heißen, dass politisch unerwünschte Technologien stärker vom Staat unterbunden werden sollen.

Auf Seite 15 der Schrift gibt Stanley dann zu, dass für Australien überhaupt keine Daten über die behaupteten Schäden bei Kindern durch das Internet vorliegen. Man habe lediglich von US-Studien „extrapoliert“. Wie diese zu bewerten sind, wurde weiter oben schon diskutiert.

Zum Abschluss wird allen Regierungen noch auf den Weg gegeben, dass Bedarf bestehe, die Einschränkungen von Internetdiensten noch weiter zu erforschen. (Seite 16)

Der Internetpionier Howard Rheingold sagt (in „Virual Communities“, 1994): „Die politische Bedeutung von computervermittelter Kommunikation liegt in ihrer Fähigkeit, das Monopol der bestehenden politischen Hierarchie auf mächtige Kommunikationsmittel in Frage zu stellen und vielleicht belebt sie die bürgergestützte Demokratie wieder neu.“ (Hervorheb. in fett v. d. Aut.)

Was Rheingold 1994 sagte, gilt heute, 2009, in noch viel stärkerem Maß: Der Sturm auf die Bastille des Fernsehens und der Printmedien hat bereits stattgefunden und die Überreste der überflüssig gewordenen Leitmedien werden gerade geschleift.

Vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit hat das Internet, wahrscheinlich unbeabsichtigt, die Gleichheit aller Menschen hergestellt. Die arrogante Rolle der Besitzer der alleinigen Wahrheit, die das alleinige Monopol auf eine veröffentlichte Meinung hatten, hat ausgespielt. Jeder ist heute Sender und Empfänger, Produzent und Konsument, und der raue Wind der konkurrierenden Information pfeift den Herrschenden ins Gesicht.

Vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit hat das Internet, wahrscheinlich unbeabsichtigt, die Gleichheit aller Menschen hergestellt

In der Tat: Die Demokratie könnte sich neu beleben, was sich schon am zunehmenden Erfolg von Internetpetitionen zeigt, und neue Formen der direkten demokratischen Mitbestimmung per Mausklick zeichnen sich am Horizont ab.

Daher schreien die Herrschenden um Hilfe und bemühen das uralte Klischee vom bösen Strolch und dem unschuldigen Kind.

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