zeitgeist-Suche

zeitgeist auf Telegram

zeitgeist-Newsletter

Anzeige(n)

Edition H1 (Kunstbuch)

Demokratie braucht Nation

Einige Gedanken anlässlich Brexit, EU & Co

Von Dr.-Ing. CHRISTIAN FISCHER

Ist der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU der Anfang vom Ende eines europäischen Projektes für Frieden und Wohlstand? Oder womöglich ein Neubeginn für das, was Europa einmal war und wieder werden kann: ein Ort, an dem sich Nationen als Rechtsräume gebildet und in unterschiedlicher Weise zu Demokratien hin entwickelt haben. Dieser Prozess ist gestört, meint Christian Fischer, seit eine politische Klasse ein anderes Ziel verfolge: den Abbau demokratisch souveräner Rechtsräume und -regeln, als wären sie lästiger Ballast und den Aufbau von Exekutiv-Ausschüssen, die das politische Leben ohne Gewaltenteilung und ohne demokratischen Souverän regeln. Und der Frieden, wurde er gestärkt? Alte europäische Feindschaften seien lange vor dem EU-Projekt abgebaut worden, so der Autor, neue würden nach außen aufgebaut. Dieser Beitrag nimmt den Brexit zum Anlass, einmal grundsätzlicher über Demokratie und Nation nachzudenken.

Auch wenn die Nebelschwaden sich allmählich verziehen – so ganz genau weiß noch niemand, wer beim Brexit hoch gepokert, wer gewonnen und wer sich verzockt hat. Wollten einige Politiker „nur spielen“ und das Thema für persönliche Karrierezwecke nutzen? Haben dubiose Strippenzieher im Hintergrund die öffentliche Meinung in die eine oder andere Richtung gelenkt? Verlassen weitblickende Ratten das sinkende Schiff? Wollen die britischen Eliten außerhalb der EU mehr Beinfreiheit für gemeinsame Geschäfte mit China haben? Oder hat einfach nur der Souverän gesprochen und seinen Repräsentanten den Weg gewiesen?

Geöffnete Archive und Geschichtsbücher werden uns eines Tages vielleicht die Wahrheit erzählen. Bis dahin können wir uns weiter wundern über manche Tagesereignisse; wir können diese aber auch zum Anlass nehmen, über den Zusammenhang von Europäischer Union, Nationalstaat und Demokratie nachzudenken.

Nationen werden heute gerne mit Nationalismus gleichgesetzt

Bei alledem muss man sich vergegenwärtigen, dass der Brexit in England und Wales entschieden wurde, während Nordirland und vor allem Schottland in der EU bleiben wollten. Da es aber nur ein United Kingdom gibt, sind nun alle vier Nationen „mitgefangen, mitgehangen“. In Schottland hatte sich zwei Jahre zuvor eine starke Minderheit für einen Exit aus dem Vereinigten Königreich geäußert und hofft nun, diese Abstimmung wiederholen zu können, um aus UK raus- und in die EU reinzukommen. So als ginge es ihnen weniger um die eigene Souveränität, sondern um einen Platz am größeren Suppentopf. Man sieht: es ist gar nicht so einfach, „Volkes Wille“ richtig in die Tat umzusetzen.

Göttervater Zeus wirft die schöne Königstochter Europa ab, statt sie, wie die Sage erzählt, in Liebe zu entführen. Eine Metapher dafür, wie die EU mit der Demokratie umspringt? (Foto: Keramik-Skulptur von Ute Naue-Müller, Foto von Olaf Hais, Beschriftung von Christian Fischer)

 

Oder nehmen wir ein anderes merkwürdiges Tagesereignis: Die Republik Irland hatte mit massiven Steuererleichterungen die Firma Apple angelockt und damit immerhin Arbeitsplätze für ihre Bürger geschaffen. Nun bestimmt die Europäische Kommission, dass dies so nicht gehe und Apple 13 Milliarden Euro Steuern nachzuzahlen habe. Die irische Regierung wehrt sich dagegen mit Verweis auf ihre nationale Entscheidungshoheit. Auch wenn man sich auf den ersten Blick die Augen reibt, dass eine Regierung Steuereinnahmen verweigert, muss man sich doch ebenso fragen, ob man die EU-Kommission wirklich als vorgesetzte Behörde einer demokratisch gewählten Regierung begrüßen möchte. Ist das der Anfang einer neuen Runde haushaltsrechtlicher Entmündigungen?

Diese und andere Beispiele zeigen: Heute mehr denn je ist ein klarer Blick dafür erforderlich, wie wir Bürger uns im zunehmend komplexeren Geflecht von nationalen und internationalen Entscheidungsebenen orientieren, positionieren und überhaupt als Souverän äußern wollen. Einfach Grenzen niederreißen bzw. ignorieren, wie es einige ja tatsächlich propagieren und sogar tun? Sich abschotten und Fremde an der Grenze möglichst nicht nur kontrollieren, sondern fortschicken, was auch einige fordern? Oder selbstbewusst seine Grenzen schützen, aber nicht schließen, und seine eigenen Angelegenheiten auf dem eigenen Territorium souverän regeln? Diese Selbstverständlichkeit klingt in vielen Ohren heute verstaubt und überholt – ohne dass allerdings eine überzeugende demokratische Alternative genannt wird.

Die demokratische Nation – von der Idee …

Nationen werden heute gerne mit Nationalismus gleichgesetzt und für Kriege, Ungerechtigkeiten aller Art bis hin zu wirtschaftlichem Niedergang verantwortlich gemacht. Das ist die angesagte Propaganda, die in Europa vor allem die Zentralisierung und Souveränitätsabschöpfung durch die EU seit einigen Jahrzehnten begleitet.

Nationen als Flächenstaaten, erst Recht mit gleichen Bürgerrechten für die hier dauerhaft lebenden Bürger als Souverän, sind in der Menschheitsgeschichte allerdings noch nicht sehr alt – bei genauem Hinsehen gab es sie vor 100 Jahren fast noch nirgends. Flächenstaaten als undemokratische Gebilde hingegen gab es schon lange, wobei diese sich früher als Königreiche, Herzogtümer o. Ä., eben als Herrschaftsgebiete einer Dynastie, aber nicht als Nationen, definierten. Der Begriff Nation ist in der Geschichte mit der Idee der Souveränität, bürgerlicher Selbstbestimmung und Gleichheit aller vor dem Gesetz verbunden. Nationale Erhebungen waren auch demokratische Bewegungen gegen despotische Herrscherhäuser. Man sollte genau hinschauen, auf welchen Sack man drescht, wenn man den Nationalismus zum Beispiel des 19. Jahrhunderts treffen will: Demokratische Nationen waren damals Mangelware.

Krieg folgt nicht aus nationaler Organisationform, sondern aus fehlendem Respekt vor Nationen

Erste Ideen und praktische Verwirklichungen in Richtung Demokratie gab es bekanntlich im antiken Griechenland, allerdings nur in überschaubaren Stadtstaaten –  mit Freiheitsrechten, die an Besitz und Geschlecht gebunden waren. Die Idee einer Nation als territoriale Einheit, deren Grenzen zu schützen sind und die gleichberechtigt neben anderen territorialen Einheiten steht, begegnet uns nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 im Friedenschluss von Münster. Hier ging es nicht darum, wie Nationen sich im Innern organisieren sollten, zum Beispiel demokratisch, sondern darum, dass sie sich gegenseitig respektieren und nicht mit wechselseitigen Eroberungskriegen überfallen sollten.

Denn das war seinerzeit Realität gewesen. Herrschergeschlechter hatten bis dahin den Lebensraum der Menschen als ihren Privatbesitz betrachtet. Sie haben sich neue Territorien angeeignet und wieder verloren, im besten Fall durch Heirat, oft genug durch Kriegsführung, je nach den Mitteln, die gerade zur Verfügung standen. Am Ende des furchtbaren Krieges, dem in Europa ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen war, hatten 1648 die klugen Köpfe der Zeit, die Repräsentanten und Schüler des Humanismus und der Aufklärung, genügend Einfluss, um etwas anderes festzulegen.

Nationen sollten nun souveräne Einheiten sein, innerhalb ihrer Grenzen ihr eigenes Recht setzen und vor Ansprüchen anderer Nationen geschützt sein. Natürlich sollten sie auch das Recht haben, sich zu verteidigen, wenn andere Nationen sich nicht an diese Regel hielten. Aber welches Recht sie sich geben, wie sie regiert werden, sollte von niemandem außerhalb zu bewerten sein, sodass aus heutiger Sicht selbstverständlich noch nicht die individuellen Bürgerrechte enthalten waren, wie wir sie heute kennen. Die Leibeigenschaft bestand für viele Menschen noch lange und Glaubens- und Gewissensfreiheit oder gar demokratisches Wahlrecht gab es noch lange nicht.

Aber es war ein entscheidender Schritt hin zum Frieden unter den Völkern, hergeleitet aus naturrechtlichen Überlegungen, die ihrerseits auf der christlichen Ideengeschichte und auf der antiken Philosophie fußen. Nationen sollen Schutz einer territorial definierten Rechtsordnung sein und damit Schutz für das Leben der hier ansässigen Menschen bieten. In den einzelnen Nationen können verschiedene Rechtsordnungen gelten, aber sie gelten, und keine Nation hat das Recht, den anderen Vorschriften zu machen. Das ist die Geburtsstunde einer Friedens- und Rechtsordnung, die ohne nationale Souveränität nicht denkbar ist, sondern diese gerade braucht.

Wir wissen, dass Kriege damit leider noch nicht endgültig auf dem Müllhaufen der  Geschichte verschwunden sind. Aber was schließen wir daraus? Dass das Konzept „Nation“ ein falsches ist? Ist es nicht vielmehr unsere Aufgabe, unsere jeweilige Nation im Innern demokratisch zu gestalten, dafür zu sorgen, dass nicht Eliten an die Schalthebel der Macht gelangen, die partikulare Interessen einschließlich Angriffskriegen mit den Mitteln von mehr oder weniger demokratischen Institutionen so vertreten wie das frühere Königshäuser taten? Denn die breite Mehrheit der Bürger hat nie Interesse an einem Krieg. Krieg folgt nicht aus nationaler Organisationform, sondern aus fehlendem Respekt vor Nationen. Demokratie innerhalb der Nation – wo denn sonst? –, das ist die Prävention gegen Krieg, ganz abgesehen davon, dass sie auch innerhalb der eigenen Grenzen die menschengerechte Lebensform ist.

… über die Geschichte …

Die Nationen, die uns nach dem Westfälischen Frieden in Europa begegnen, sind noch keineswegs demokratisch organisiert. Der französische Absolutismus, den andere Nationen gerne nachgeahmt haben, erlebt mit Ludwig XIV. und Versailles erst danach seine Blüte. Das englische Weltreich wird danach aufgebaut – obwohl England bereits ein Parlament hat, in dem natürlich nicht alle, aber die besitzenden und adeligen Männer die Macht des Königs beschränken können.

Nur innerhalb einer Nation wachsen und verankern sich die Regeln des gesellschaftlichen Lebens

Die erste moderne Demokratie waren die USA. Sie konstituierten sich in einer Welt der Monarchien noch vor der Französischen Revolution als Republik mit einer auf Zeit gewählten Legislative und einem auf Zeit gewählten Präsidenten. Ein revolutionärer Schritt. Allerdings noch weit entfernt von allgemeinen Bürgerrechten: Frauen dürfen in den Vereinigten Staaten erst seit 1920 zur Wahl gehen. Gleiche Bürgerrechte für die Schwarzen gab es noch nicht einmal auf dem Papier, als der Schreiber dieser Zeilen geboren wurde. In den ersten fast 100 Jahren war die Sklavenhaltung in den USA selbstverständlich; damit fiel diese Republik weit hinter die Standards europäischer Monarchien zurück.

Die Französische Revolution, angeregt auch durch die amerikanische, stand unter dem Zeichen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Brüderlichkeit: Die „Schwestern“ erhielten in der Republik Frankreich erst 1944 das Wahlrecht. Gerne haben manche der Schweiz ihre Rückständigkeit vorgehalten, weil dort die Frauen auf Bundesebene noch 27 Jahre später das Wahlrecht erhielten. Aber damit ist die Schweiz noch nicht einmal das europäische Schlusslicht. In Portugal geschah das erst nach der Nelkenrevolution mit der Verfassung von 1975. Und andere Länder sind nicht meilenweit davon entfernt: England 1928, Spanien 1931, Italien 1946, Belgien 1948, Griechenland 1952.  Deutschland und die skandinavischen Länder sind mit der Einführung des Frauenwahlrechts um 1920 schon Veteranen auf dem Gebiet. Aber selbst in (West-)Deutschland durfte eine Frau ohne die Erlaubnis ihres Mannes kein Bankkonto eröffnen und keinen Beruf ausüben – in einer Zeit, als es bereits einen Bundeskanzler Adenauer gab.

So alt die Ideen zur Demokratie, so jung sind also die allgemeinen Bürgerrechte. Und dennoch: Nur das war und das ist der Weg, wie Demokratie sich wirklich entfalten kann: innerhalb einer Nation. Hier wachsen und verankern sich die Regeln des gesellschaftlichen Lebens, unter den Menschen mit einer einigermaßen zusammenhängenden Kulturgeschichte, mit Pausen und Rückschlägen. Was wäre die Alternative? Demokratische Regeln ohne Rücksicht auf Verluste exportieren, wie es die USA und ihre Verbündeten im Irak, in Afghanistan und anderswo – angeblich – tun? Ergebnis bis dato: zerstörte Zivilisationen.

Nehmen wir die Schweiz als weiteres Beispiel. Sie ist heute ein demokratisches Musterland, vielleicht nicht perfekt, aber mit direkten Gestaltungsmöglichkeiten durch die Bürger ausgestattet wie kein anderer Staat. Auch das hat sich allmählich entwickelt: Der moderne Bundesstaat wurde 1848 gegründet, also 200 Jahre nach dem Westfälischen Frieden. Möglichkeiten zur direkten Einflussnahme des Volkes auf Gesetzgebung und sogar Verfassung sind erst danach in langen politischen Auseinandersetzungen entstanden. Aber nur so konnten sie auch gelebter Bestandteil dieser (Eid-)Genossenschaft (!) werden und nur so ist die verhältnismäßig hohe politische Reife und Kultur des Schweizervolkes verständlich. Wohl gerade aufgrund dieser Erfolgsgeschichte gibt es zunehmend  Bestrebungen, das zu konterkarieren, etwa indem zwar Volksentscheide ergingen, die Regierung aber trotzdem tut, was sie will.

Die Demokratisierung der europäischen Nationen hat erst im 20. Jahrhundert so richtig begonnen, vielerorts erst nach dem Zweiten Weltkrieg, an manchen Orten muss man heute noch mit der Lupe nach ihr suchen

Das Deutsche Reich schließlich wurde als Nation 1871 gegründet – als Kaiserreich mit zunächst rudimentären demokratischen Regeln. Aber immerhin schon mit einem Bürgerlichen Gesetzbuch, welches eine Rechtsordnung auf Basis der Gleichheit der Bürger nach innen sichert. Wie hätte das ohne nationale Grenzen, also ohne einen Geltungsbereich des Rechts geschehen können? Und wie sollte das – um einen Blick in Gegenwart und Zukunft zu werfen – ohne nationale Grenzen weiter gelten können?

Ja, Nationen haben Kriege nach außen geführt. Sie haben sich nicht an die 1648 in Münster vereinbarten Regeln gehalten. Also weg mit den Nationen? Und dann? Nein, diese kurz skizzierten historischen Hinweise sollten illustrieren, dass wir von einem Projekt sprechen, welches größer ist als der Kölner Dom. Das Projekt heißt Frieden zwischen den Völkern. Ein entscheidender Beitrag dazu war 1648 die Gründung von Nationen, die einander respektieren. Diese Idee in die Realität umzusetzen hat Jahrhunderte gedauert und bisher schlecht funktioniert. Warum? Weil die Verfassungen der Nationen mangelhaft waren und nicht weiterentwickelt wurden; sie waren zu lange Zeit herrschaftlich, monarchisch organisiert, nicht genossenschaftlich, demokratisch.

Die Demokratisierung der europäischen Nationen hat erst im 20. Jahrhundert so richtig begonnen, vielerorts erst nach dem Zweiten Weltkrieg, an manchen Orten muss man noch heute mit der Lupe danach suchen. Die Nation ist und bleibt, allen Vorbehalten zum Trotz, der erste Schritt zum Frieden, ihre demokratische innere Ordnung der notwendige zweite. Diese inneren Ordnungen werden aus den kulturellen Traditionen und auch aus deren streitigen Auseinandersetzungen heraus entwickelt und unterscheiden sich daher von Land zu Land. Das ist auch gut so, denn eine funktionierende Demokratie ist kein abstraktes, statisches Gebilde. Sie muss für die Bürger greifbar sein, sie muss von der Basis aus gelebt werden.

Aus der Geschichte jedenfalls lernen wir: Man kann und muss die demokratische Reife einer Nation nicht nur an ihrer inneren Ordnung, sondern auch an ihrer Bereitschaft zum Frieden mit anderen Nationen messen. Ja, dieser Satz enthält Sprengstoff.

… in die Zukunft

Der transatlantische Teil der Zündschnur soll hier unbenutzt bleiben, soweit das überhaupt möglich ist. Thema ist Europa, Thema ist die Europäische Union. Wir hören täglich, dass „Nation“ historisch überholt sei und ein neues europäisches Haus gebaut werden müsse. Aber wer bestellt den Baumeister, wer ist der Bauherr, und nach welchem Plan geschieht der Umbau?

Eine multikulturelle Weltanschauung, ursprünglich politisch links verortet, bedient heute eine von Großkonzernen und Banken betriebene Globalisierung mit dem notwendigen ideologischen Parfüm

Eine multikulturelle Weltanschauung, ursprünglich politisch links verortet, bedient heute eine von Großkonzernen und Banken betriebene Globalisierung mit dem notwendigen ideologischen Parfüm. Das Niederreißen der Grenzen in Europa, der rechtswidrige Kontrollverzicht Einreisender, die gemeinsamen Kriege Europas (und der USA, wo die Grenzen übrigens nicht niedergerissen werden!) wird verkauft als schöne neue Welt der Menschenrechte. Weil kein Mensch illegal sei, wird die Legalität abgeschafft. Da freut sich ein Großspekulant Soros, der die europäischen Grenzen zu seinem Feind erklärt und in entsprechende Aktivitäten zur Ankurbelung der Flüchtlingsströme investiert. Freiheit für alles, keine Behinderung durch Rechtssysteme! Keine nationalen Sonderinteressen! Keine nationale Gesetzgebung, die den Rechtsetzungsakten der Europäischen Kommission widerspricht! Und der Friedensnobelpreisträger EU kurbelt seine Wirtschaft gleichzeitig mit der Rüstungsindustrie an.

Wer ist eigentlich diese Europäische Union? Sie sieht aus wie ein Staat mit diversen Institutionen und teuren Beamten, sie handelt wie ein Staat mit Rechtsetzungsakten und Staatsverträgen, aber es fehlt eine Kleinigkeit: das Staatsvolk, der Souverän. Kein Bürger ist gefragt worden, ob er Teil eines übergreifenden Staates werden will. Unsere Repräsentanten haben das unterschlagen. Zu sehr waren sie damit beschäftigt, Souveränität nach Brüssel abzugeben. Und dort, wo es im Nachhinein Volksabstimmungen zur europäischen Verfassung gegeben hat, waren die Ergebnisse enttäuschend für die Verfechter der EU.

Die EU hat kein Parlament als Legislative. Das Europäische Parlament ist keine gesetzgebende Versammlung – auch wenn seine Befürworter gerne betonen, dass es „jetzt schon mehr“ Rechte habe als früher. Tatsächlich erfolgt die Gesetzgebung über EU-Richtlinien, die von der EU-„Exekutive“  erlassen und dann in den nationalen Parlamenten umgesetzt werden. Um diesem Tatbestand einen demokratischen Anstrich zu geben, wurde im Jahre 1992 unser Grundgesetz geändert, namentlich Artikel 23:

Im neuen Artikel 23 wurden die Souveränitätsabgabe und die Auflösung der nationalen Legislative (!) zugunsten einer suprastaatlichen Exekutive festgelegt. Dort heißt es: „Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union.“ Weiter wird ausgeführt, dass die Bundesregierung diese Stellungnahme, bzw. soweit die Gesetzgebungshoheit der Bundesländer betroffen ist, auch die Stellungnahme des Bundesrates, berücksichtigt. Mit anderen Worten: Die Rechtsetzung, das Legislativrecht, geschieht durch die Europäische Union, konkret durch die Kommission und ihre Organe, die Bundesregierung wirkt daran mit und sie berücksichtigt bei ihrer Mitwirkung die Stellungnahmen unserer Legislative, im Fall der Bundesländer nicht einmal die von deren Legislativen, sondern die der Länderregierungen (denn diese bilden den Bundesrat). Was „Mitwirkung“ und „Berücksichtigung“ heißt, kann man nicht nachlesen, aber man kann es sich denken: nichts Verbindliches.

Der Passus „seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und“ wurde in der aktuellen Präambel des Grundgesetzes gestrichen

Damit ist unser gewaltenteiliges föderales Gesetzgebungssystem quasi im Vorübergehen abgeschafft worden. Es geht aber noch weiter: Dazu passend hatte man bereits 1990 auch die Präambel des Grundgesetzes geändert. Früher hieß es dort: „… von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen…“. Der Passus „seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und“ wurde in der aktuellen Präambel gestrichen. Ja, gestrichen, es gibt ihn nicht mehr! Unsere Parlamentarier hielten es offensichtlich für angebracht, deutlich kundzutun, dass die nationale und staatliche Einheit Deutschlands nach der Wiedervereinigung nun nicht mehr von Relevanz, ja nicht mehr zu wahren sei. In diesem Licht wird die Praxis des Regierungshandelns und der flankierenden Propaganda der letzten Jahre verständlicher. Die „Volksvertreter“ wissen, was sie tun. Gewaltenteilung und Volkssouveränität sind Ihnen nicht wichtig, im Gegenteil, diese „Formalien“ stören. Angestrebt ist allem Anschein nach ein Wirtschaftsraum, der möglichst ohne politische Prozesse im Sinne öffentlicher Meinungsbildung und demokratischer Entscheidung funktioniert, der ein öffentliches Leben im bürgerlich-demokratischen Sinn also gar nicht mehr braucht.

Eine Vision: ein fröhliches Europa auf Basis demokratischer Strukturen (Foto: Keramik-Skulptur von Ute Naue-Müller, Foto von Olaf Hais, Beschriftung von Christian Fischer)

 

Es geht dabei nicht um ein besseres oder größeres politisches System der Demokratie, sondern um die Konstruktion einer großen europäischen Firma, in der die alten politischen Systeme nur noch im Sinne von Verwaltungsapparaten zur Durchsetzung zentraler Entscheidungen missbraucht werden. Mit einem mächtigen und absolutistisch organisierten Vorstand, der unter dem Arbeitstitel „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ installiert wurde und dem laufend neue Strukturen in diesem Sinne beigeordnet werden.

Wir sehen also: Mit den nationalen Souveränitäten verschwindet die Demokratie. Doch nicht nur das: Die Kriegsgefahr ist in Europa heute so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr – und das, wo uns doch die Europäische Union als Friedensprojekt verkauft wurde! Soll das die Krönung einer Geschichte sein, die unsere klügeren Vorfahren 1648 einleiten wollten?

Nein, unsere historische Aufgabe ist die Stabilisierung und Kultivierung der Demokratien innerhalb der Nationen, nicht ihre Opferung auf dem Altar des großen Bündnisses. Das könnte in Form von Staatsverträgen ohne Souveränitätsabgabe geschehen. Zunächst gilt es jedoch, die souveräne Gesetzgebungsgewalt, die unsere Repräsentanten zu weiten Teilen abgegeben haben, zurückzuholen und demokratisch nicht legitimierte Entscheidungen auf den Prüfstand zu stellen, etwa mithilfe bundesweiter Abstimmungen, die uns das Grundgesetz (Art. 20,2) vor 67 Jahren versprochen hat. Auf unsere Delegierten können wir uns nicht mehr verlassen. Sie allein sind zu schwach, sich gegen zahlungskräftige Lobbys und geschickte Propagandisten zu behaupten. Sie brauchen unsere Hilfe. Demokratie lebt nicht allein durch ihre Institutionen und ihre Rechtsordnung, sie lebt vor allem durch ihre Bürger, die sich ihrer Souveränität bewusst sind.


Für mehr freien Journalismus!

Buchneuerscheinungen