Von Prof. ULRICH-JÜRGEN HEINZ
Ängste entstammen der vegetativen Schicht der Psyche, dort, wo das eigene Leben überwacht wird und Anzeichen einer Gefährdung sensibel wahrgenommen und gemeldet werden: über ein Arsenal von Gefühlen, Bildern, Stoffwechselreaktionen und Hormonausschüttungen: als Angst!
Denken, was ist das? Ich denke den Satz vom zureichenden Grund. Oder: Ich denke dich. Auch: Ich denke nach(-her) über dich (durch mich). Ich denke, 500 Gramm Salat reichen mir heute. Und: Ich denke einen Wunsch und seine Verwirklichung.
Wir nehmen wahr, was in der unablässigen Impulsfolge unseres Gehirns häufig genug auftaucht, um Spuren zu hinterlassen. Was häufig erscheint, währt, wird für wahr genommen, wird wahrgenommen. An ihm hängen Empfindungen, Bilder, Bildketten, ein komplexes Gefühl aus Angst oder Wohlempfinden. Wenn wir dies komplexe Gefühl weiter fühlen und es "festhalten", indem wir es immer wieder vergegenwärtigen, dann dauert es entsprechend lange an; wir können seine Merkmale erinnern und über diese das Gefühl später wieder aufrufen.
Es nützt dem Lebensglück des nachdenkenden Menschen, wenn er zuerst negativ denkt und dann positiv
Sobald wir das vorsätzlich und willentlich erinnern, denken wir. Denken als die willentliche Gestaltung des Erinnerten zur Gegenwart. Nachdenken als das nachträgliche, willentliche Fügen verschiedener Merkmale zu einer gegenwärtigen Gestalt.
Angst ist ein überlebensnotwendiges Signal des Alarmsystems Psyche. Wir können zu jedem Alarm den Auslöser finden und über ihn nachdenken. Wenn wir nicht klären, warum wir wann Angst haben, werden wir unsere Gegenwarten aus den mannigfaltigen Ängsten der einen Angst gestalten. Dann sagt einer vom anderen, er denke negativ.
Und einer, der die Angst als Auslöser und nicht als zwingende Gegenwart erkennt, denkt positiv. Er regt den Gegenspieler der Angst an, das Wohlgefühl.
Es nützt dem Lebensglück des nachdenkenden Menschen, wenn er zuerst negativ denkt und dann positiv. Wenn er sich von der ihn ergreifenden Angst ergreifen lässt, sie als hinweisende Warnung versteht, das damit Erwarnte erkennt und Lösungen, die entwarnen, in die Gegenwart bringt. Aus Angst wird Wohlgefühl.
Auch die Angst vor dem Sterben (als die Angst vor dem Tode missverstanden) wird zum Wohlgefühl des Lebens.