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Voll auf die Zwölf!

Von RAINER GRZYBOWSKI

Mit chirurgischer Präzision wird am 11. September der Big Apple entkernt. Der Welt verschlägt es den Atem, bleich vor Entsetzen windet sie sich seither in einer Art asthmatischen Krampfes. Obwohl mich das Ganze persönlich nicht betrifft, bin auch ich wie von der Boing getroffen: Déjà vu! In blutroten Lettern taucht vor meinem innern Auge ein Name auf: Mehlmagg. Mit einem Schlag ist sie wieder da, die Erinnerung an meine Zeit auf dem Rosaroten Planeten.Als Geheimdienstoffizier führte ich dort seinerzeit ein bewegtes Leben. Doch besser, ich erzähle die Geschichte von vorn.

Im wesentlichen unterschied sich Mehlmagg (hat nichts mit diesen Katzenfressern zu tun!) von Terra nur durch die Farbe seines Himmels – ob er ein paar Schwanzlängen näher oder weiter von seinem Zentralgestirn entfernt war, ich weiß es nicht mehr.

Auch bei uns gab es eine Unzahl ethnischer wie religiöser Gruppierungen, doch wurde – wie sich die Bilder gleichen! – das Spiel vorwiegend von drei Fraktionen bestritten: Da gab es die Einen, die glaubten an einen Gott mit langer Nase. Dann gab es die Anderen, die glaubten an einen Gott mit langen Ohren. Und schließlich gab es eine – zahlenmäßig zwar kleine, an Einfluss allerdings ungeheuer reiche – Gruppe, die von allen ehrfurchtsvoll nur „die Schlauen“ genannt wurde. Diese wusste um den einzig wahren Namen des Einen, und der ist im ganzen Universum derselbe: Mammon. Von letzteren bezog ich meine Brötchen.

Als erstes bedurfte es eines für alle akzeptablen Feindes ...

Weil überall, wo viel ist, noch mehr hin will, wollten auch die Schlauen sich nicht damit zufrieden geben, weniger als alles zu besitzen. Jahrhundertelang bereitete es uns ein diabolisches Vergnügen, Langnasen gegen Langohren auszuspielen und umgekehrt. Wir liehen ihnen das Geld für ihre jämmerlichen Scharmützeleien, um sie dann mit unseren Zinsforderungen auszupressen wie Zitronen. Aller Subversion zum Trotz war uns eines jedoch nie gelungen: Die Errichtung einer zentralen planetarischen Regierung unter unserer Ägide.

Es brachte mir einen weiteren Stern auf dem Hosenlatz, als ich den Schlauen meinen Plan vorlegte:

Als erstes bedurfte es eines für alle akzeptablen Feindes. – Wir fanden ihn in einem fanatischen Weltverbesserer namens Ibn Hüter. Wir bauten ihn über Jahrzehnte hinweg auf, und er hat uns nie enttäuscht.

Um die Polizei zu beschäftigen, musste der Planet mit einem Netz von Biorobotern, im Jargon der Dienste so genannten Pennern, überzogen werden, die auf Knopfdruck Frau und Hund verließen, um irgendwo in Schall und Rauch überzugehen.

Dann musste eine Integrationsfigur an die Spitze des mächtigsten Staates Mehlmaggs gehievt werden. Der Mann unserer Wahl hieß Wackler Lush. (Mehrfach wäre unser Vorhaben fast aufgeflogen, weil diese Quadratnull ihr Grinsen einfach nicht in den Griff bekam, doch die Schafe haben wirklich jedes Gras geraucht, das wir ihnen verkauften.)

Jetzt konnten wir zum großen Schlag ausholen: Eine Insel mit zwei Türmen – unglaublich, diese Koinzidenzen! – lag im schönen blauen Meer, dort hatten die Schlauen ein planetares Handelszentrum errichtet, einen Prunkbau babylonischen Ausmaßes, von wo aus aller Welt Gerechtigkeit widerfuhr. Wir müssten nur … Kein Monk – so nannten sich die Zweibeiner auf Mehlmagg – würde je dahinter steigen, wer die ganze Sache angezettelt hatte. Die Flieger starteten im Morgengrauen.

Das Resultat übertraf unsere kühnsten Erwartungen. Mit der einfachen Botschaft „Wer nicht mit uns ist, ist für den Terrorismus“ überzeugte Lush selbst sturste Skeptiker. Pandemograten aller Länder überschlugen sich fast, uns in den … – äh, die Füße zu küssen. Die Fingerabdrücke auf den Identkarten waren nur der Anfang, bald folgte das genetische Profil. Endlich wurde aufgeräumt mit diesem überkommenen „In dubio pro reo“. Aufhebung von Bankgeheimnis und Einsatz der Rasterfahndung stellten sicher, dass kein Pennäler fürder auch nur sein Taschengeld schwarz einsteckte. Wir machten märchenhafte Schnitte auf dem Parkett. Die Schafskälte an den Börsen wich der Wärme des Wachstums der Wirtschaft, wie immer wenn …

… dann … der Thermostat brennt durch … der Himmel verfärbt sich hellblau … meine Erinnerung verblasst.

→ Dieser Beitrag erschien in zeitgeist-Printausgabe 16 (4-2001).


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