Besuch bei Freunden

Von WILLY WIMMER

Die miese Stimmung liegt in der Luft und ist mit den Händen zu greifen. Wann jemals ist ein deutscher Kanzler unter derart entwürdigenden Umständen nach Washington eingeladen worden und muss einer Einladung des amerikanischen Präsidenten folgen? 

Wenn die deutsche Bundeskanzlerin am 2. Mai 2014 den amerikanischen Präsidenten Obama in Washington treffen sollte, wird sich das interessierte und demnach aufmerksame Volk fragen, ob dieser Besuch der Frage dient, in welchem Umfang die deutsche Bundeskanzlerin in Washington das sagt, was die Späher der NSA und anderer amerikanischer Kohorten schon vorher in den Abhörprotokollen festgehalten haben. In diesen Tagen greifen historische Vergleiche förmlich um sich. Man wird aber schon fragen dürfen, ob es so etwas in der jüngeren Geschichte schon einmal gegeben hat und wie solche Umstände gemeinhin bezeichnet werden. Es gehört schon eine Menge Selbstverleugnung dazu, dem für diese Abhörpraktiken verantwortlichen Präsidenten in die Augen sehen zu wollen. Für das deutsche Volk, auf dessen Wohlergehen die Bundeskanzlerin einen Eid abgelegt hat, steht allerdings mehr auf dem Spiel als nur das von allen Medien beäugte Mienenspiel. Es ist die Frage nach unserer nationalen Würde und danach, ob unter diesen Umständen ein Besuch, der seinen Namen überhaupt verdient, durchgeführt werden sollte. Konrad Adenauer, der rheinische Fuchs, hat unter unvergleichlich schwierigeren Umständen den Schritt auf den Teppich gewagt, den ihm die Hohen Kommissare verweigern wollten. Heute liegen die Dinge anders, aber die Zumutung ist geeignet, einen irreparablen Riss in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland in einer Zeit zu produzieren, in der man sich derartiges nicht leisten sollte.

Präsident Obama zufolge war die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation schlimmer als der von den USA und vor allem England geführte ordinäre Angriffskrieg gegen den Irak

Das Ausmaß an Erstaunen über unseren transatlantischen Partner, den man gerne als Verbündeten bezeichnen möchte, stieg schon bei seinem jüngsten Europabesuch ins Unermessliche. Danach war Präsident Obama zufolge die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation schlimmer als der von den USA und vor allem England geführte ordinäre Angriffskrieg gegen den Irak, der Hunderttausende von Toten gefordert hatte. Wie soll man das bewerten, wenn jemand derart das Maß verloren hat, wie es in solchen Worten zum Ausdruck kommt? Ist es da nicht anzuraten, dass erst einmal die Balken aus dem eigenen Auge entfernt werden, bevor man den möglichen Splitter im russischen zu entdecken glaubt? Denn nichts anderes waren die Kriege seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien als die Balken im westlichen Auge. In den letzten 15 Jahren wurde mehr und mehr Wert auf eine Koalition der Willigen für völkerrechtswidrige Kriege mit Toten über Toten gelegt, für die man nur einen Tony Blair als Speerspitze finden konnte. Nun werden es die Völker der westlichen Allianz sein, die das Heer der Unwilligen anführen, wie das britische Unterhaus eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.

Bei einem Besuch in Washington, das kann schon jetzt gesagt werden, wird der deutschen Bundeskanzlerin bei ihren Anliegen der Kernbereich der Willigen vorgeführt werden. Es sind die Staaten der Echelon-Allianz, die den Kern der angelsächsischen Globaldominanz bilden und die sich untereinander nicht in dem Maße an die Gurgel gehen, wie das mit angeblichen Partnern und den tatsächlichen oder eingebildeten Gegnern geschieht. „No spy-only for New Zealand, Australia, Great Britain, Canada and the US”. Davon haben deren Völker nichts, weil sie im Querverbund ausspioniert werden. Unter diesen Umständen an eine Wertegemeinschaft zu denken oder gar von ihr zu sprechen, kann nur mentale Übelkeit hervorrufen und macht die Dinge auch nicht besser. Vielleicht sollten die Verantwortlichen in Washington sich die Frage vorlegen, was sie eigentlich am westlichen Ende der transatlantischen Gegenküste vorfinden wollen: partnerschaftlich verbundene Gemeinwesen oder koloniale Bewegungsmöglichkeiten? Die deutsche Bundeskanzlerin sollte den USA diese Überlegung zubilligen und einen Besuch in Washington abstatten, wenn in dieser Frage Klarheit besteht.

Davon hängt auch der NATO-Gipfel im September 2014 ab. Nach dem Unabhängigkeitsvotum in und für Schottland wird damit einem weiteren Teil der britischen Insel klargemacht, was Besatzung alles so ausmacht.  Wales steht dabei für uns alle.