Am 24. September 2013 eröffnete die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff die 68. UN-Vollversammlung in New York. Zwei Jahre zuvor hatte sie die Ehre gehabt, eben diese Debatte als erste Frau überhaupt einzuleiten. Damals forderte Rousseff von den Vereinten Nationen, Repressionen gegen Zivilisten zu verhindern und im Einsatz von Militär nur die letzte Option zu sehen. Zudem warb sie für eine konkrete Reform des UN-Sicherheitsrates.
In diesem Jahr war von ihr heftige Kritik an den USA samt deren NSA-Praktiken zu hören. Sie nannte das Spähprogramm des US-Geheimdienstes eine Verletzung des Völkerrechts. Brasilien werde juristische und technische Schritte unternehmen, sich vor illegalen Abhöraktionen zu schützen. In diesem Zusammenhang schlug sie eine multilaterale Aufsicht über das Internet vor. Bereits im Vorfeld hatte sie einen für Oktober geplanten Besuch in den USA abgesagt, da Obama es abgelehnt hatte, sich für die Ausspähung öffentlich zu entschuldigen.
Im Verlauf der 68. UN-Generaldebatte nutzten die Regierungschefs mehrerer lateinamerikanischer Länder die Gelegenheit, die Doppelzüngigkeit und die globalen Spionageaktivitäten der USA anzuprangern
Aufgrund der Tatsache, dass Brasilien 1944 bei der Gründung der Organisation kein fester Sitz im Sicherheitsrat zugeteilt wurde, darf das Land nun bei Debatten stets einführend das Wort ergreifen. Nach Rousseff sprach der US-Präsident. Wie zu erwarten war, zeichnete der Friedensnobelpreisträger ein positives Bild seiner Politik.1 Weitere Gesetze gebe es nicht, es entscheide „die Willkür, die Macht, das Ego“2.
Am darauffolgenden Tag listete der amerikanische Autor David Swanson genüsslich die 45 größten Lügen Obamas auf.3 So soll jener in seiner Rede u. a. behauptet haben, ein Jahrzehnt des Krieges sei beendet und der Einsatz von Drohnen eingeschränkt. Wie passt das zu Obamas Ansinnen, Syrien anzugreifen, was erst wenige Tage davor vom US-Kongress zurückgewiesen wurde? Auch ist es Obamas Verdienst, den Krieg gegen Afghanistan und Pakistan (AfPak) samt Drohneneinsatz ausgeweitet zu haben. Gab es unter der Bush-Administration 51 Drohnenangriffe, sind es in der Amtszeit Obamas bereits 323!4 Und jeden Dienstag unterschreibt der US-Präsident neue Tötungsbefehle per Drohne. Auch der Libyenkrieg scheint ganz vergessen.
Die Chefredakteurin der Executive Intelligence Review, Nancy Spannaus, kommentierte die Rede Obamas als unverschämt. Insbesondere bezog sie sich auf dessen Behauptung, „er habe das Recht, ohne Rücksicht auf das Völkerrecht in den Krieg zu ziehen und die nationale Souveränität anderer Staaten – durch Spionage oder kriegerische Akte aller Art – zu verletzen“5. Die Rede lässt keinen Zweifel daran, dass Barack Obama, einst Hoffnungsträger aller Friedensliebenden, inzwischen voll auf der Linie des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney liegt und die strategischen Interessen der USA mit allen Mitteln durchzusetzen gewillt ist. „Wir sind bereit, alle Elemente unserer Macht einzusetzen, auch militärische Gewalt“, ließ der Präsident verlauten.6
Noch härter als Spannaus geht der ehemalige stellvertretende Wirtschaftsminister Reagans, Paul Craig Roberts, mit Obama ins Gericht. Er nennt ihn einen Kriegsverbrecher und seine Regierung ein „kriegstreiberisches Regime“. Washington und die „Israel-Lobby“ betrieben eine vollständige Dämonisierung Putins, weil jener Frieden statt Krieg zustande gebracht hätte. Das Obama-Regime versuche Abkommen im Falle Syriens zu blockieren, indem es darauf besteht, in die UNO-Resolution eine Möglichkeit für einen Angriff einzubauen.7 Bis zum 21. Jahrhundert habe Washington seine Aktivitäten gegen andere Völker und Länder noch verdeckt betrieben, so Roberts weiter. Nun aber hätten „die kriminellen Bush- und Obama-Regimes schamlos ihre Geringschätzung“8 für das Recht und die Menschenrechte demonstriert. Überheblichkeit und Arroganz seien mit der „Supermacht“ durchgegangen.
Im weiteren Verlauf der UN-Generaldebatte nutzten die Staats- und Regierungschefs mehrerer lateinamerikanischer Länder die Gelegenheit, die Doppelzüngigkeit sowie die globalen Spionageaktivitäten der USA anzuprangern und eine Reform der Weltorganisation zu fordern.9 Venezuelas Präsident Nicolás Maduro, der zuvor auf Staatsbesuch in China war, sagte seine Teilnahme an der UN-Vollversammlung kurzfristig aus „Sicherheitsgründen“ ab und ließ sich vertreten. Und der bolivianische Präsident Evo Morales betreibt sogar eine Klage gegen das Obama-Regime wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.10 Er fragte die 192 Mitglieder der UN-Vollversammlung unumwunden: „Wie kann die UNO weiterhin ihren Sitz in einem Land haben, das sie ausspioniert, die Souveränität ihrer Mitglieder nicht respektiert und seit Jahren – wie im Fall der Blockade gegen Kuba – ihre Beschlüsse missachtet?“
Ende April 1945 hatten die USA 50 Staaten zur Gründung der UN nach San Francisco eingeladen – schon damals waren die Hotels der Gäste nachhaltig verwanzt worden
Schon vor zwei Jahren hatte Dilma Rousseff eine Reform des UN-Sicherheitsrates angemahnt, welche die gegenwärtigen politischen Realitäten berücksichtige, und Brasiliens Bereitschaft erklärt, Verantwortung als ständiges Mitglied zu übernehmen: „Wir leben seit über 140 Jahren in Frieden mit unseren Nachbarn. Wir sind Förderer der regionalen Integration und ein Motor für Frieden und Wohlstand innerhalb und außerhalb der Region.“
Zum Auftakt des Deutschlandjahres in Brasilien fand Ende Mai 2013 in der juristischen Fakultät der Bundesuniversität in Rio de Janeiro ein bilaterales Seminar zum Thema Völkerrecht und Menschenrechte statt.12 Im Rahmen dieser Veranstaltung hielt der Autor dieses Artikels ein Referat zur Reformierung der UN.13 Darin kommt er zu dem Schluss, dass die Vereinten Nationen als Folgeorganisation des Zweiten Weltkriegs in den Denkstrukturen des Kalten Krieges verhaftet geblieben und daher nicht mehr reformierbar ist.
Ende April 1945 hatten die USA 50 Staaten zur Gründung der UN nach San Francisco eingeladen – schon damals waren die Hotels der Gäste nachhaltig verwanzt worden.14 In der Einladung zur Gründungsversammlung war das Ziel der Nachfolgeorganisation des Völkerbundes fest umrissen: „Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“15. Seither sind durch die Kriege der USA annähernd 20 Millionen Menschen zu Tode gekommen und dadurch unzählige Flüchtlingsströme angestoßen worden. Es ist an der Zeit, dass zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eine von den USA unabhängige Organisation geschaffen wird.