Wetterleuchten in Asien: Steigt die Kriegsgefahr?

Von WOLFGANG EFFENBERGER

Der Konflikt zwischen dem Süden und dem Norden Koreas ist seit Jahrzehnten ein Pulverfass, das die Welt in Atem hält, nicht zuletzt durch die Atomwaffenbestände Nordkoreas. Zwischenfälle wie die jüngsten im Grenzgebiet könnten die Lunte jederzeit anstecken. Will man dies womöglich gar provozieren – aus geopolitischen Machtüberlegungen? Was planen Südkoreas Verbündete, die USA, vor dem Hintergrund der überraschenden Seoul-Reise des Stabschefs der amerikanischen Streitkräfte, Admiral Mike Mullen, dort in Zukunft?

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Fast genau vor 60 Jahren tobte vom 26. November bis 13. Dezember 1950 die Schlacht  um den nordkoreanischen  Changjin-Stausee. Chinesische Truppen waren überraschend über den Yalu, den Grenzfluss zur Mandschurei, vorgedrungen und zwangen die US-Verbände zum hastigen Rückzug aus den nur Wochen zuvor gewonnenen Stellungen in Nordkorea. Der Angriff der Chinesen endete mit einer der spektakulärsten Niederlagen des US-Militärs in seiner gesamten Geschichte. Um ein unter amerikanischem Einfluss vereinigtes Korea zu vermeiden, hatte China mit einer zunächst 300.000 Soldaten umfassenden "Freiwilligenarmee" Nordkorea zu unterstützen begonnen.

Es folgte ein sich lange hinziehendes Patt, das erst mit dem im Juli 1953 erklärten Waffenstillstand endete. Der Krieg hatte annähernd vier Millionen Menschen das Leben gekostet; die meisten davon waren koreanische Zivilisten.1 Sechs Jahrzehnte nach den erbitterten Kämpfen amerikanischer und chinesischer Truppen streben die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel offenbar wieder auf einen neuen Höhepunkt zu. Angeheizt durch einen sich zuspitzenden Großmachtkonflikt zwischen Washington und Beijing (Peking)?

Anstatt unreflektiert auf Nordkorea zu verweisen, hätte eine verantwortliche Berichterstattung eine neutrale Untersuchung fordern müssen

Die Ankunft einer US-Kriegsflotte im Gelben Meer unter Führung des atomgetriebenen Flugzeugträgers USS George Washington scheint eine weitere Eskalation der augenblicklichen Krise zu bestätigen. Den Marschbefehl erhielt die Flotte angeblich unmittelbar nach dem Beschuss der Insel Yeonpyeong durch Nordkorea am 23. November 2010. Für die meisten der westlichen Medien stand zweifelsfrei der Schuldige fest: Die unprovozierten Nordkoreaner hatten erneut den Waffenstillstand gebrochen und einen Bündnispartner der USA angegriffen. Pflichtgemäß berichtete ABC News von Präsident Obamas "Empörung" über die Provokation und dessen Willen, mit Südkorea "Schulter an Schulter zu stehen".

Südkorea vs. Nordkorea: umstrittenes Grenzgebiet auf See (Bildquelle: Wikimedia Commons, überarbeitet von W. Effenberger)

 

In der folgenden Flut von Artikeln und Medienberichten meldete sich auch Zbigniew Brzezinski zu Wort. Der alte Geostratege hatte als Jimmy Carters Sicherheitsberater die Mudschahedin bewaffnet, um die Sowjetunion in das afghanische Abenteuer zu locken. Nun sah er in dem Beschuss ein Zeichen, „dass das nordkoreanische Regime einen Punkt des Wahnsinns erreicht hat“. In den rational kaum zu ergründenden Handlungen sieht Brzezinski ein Zeichen, „dass das Regime außer Kontrolle ist“.2 So einfach scheint es aber nicht zu sein. Nur einen Tag vor der nordkoreanischen Provokation hatte Südkorea unter dem Codenamen "Hoguk" rund 70.000 Soldaten für ein Manöver mit "scharfem Schuss" in diesem umstrittenen Grenzgebiet zusammengezogen. An dieser jährlichen Militärübung nahmen Dutzende von südkoreanischen und US-Kriegsschiffen sowie rund 500 Flugzeuge teil.4 Ursprünglich war auch die Teilnahme von US-Truppen geplant, die aber offenbar im letzten Augenblick absagten. Anstatt unreflektiert auf Nordkorea zu verweisen, hätte eine verantwortliche Berichterstattung die Hintergründe aufhellen bzw. eine neutrale Untersuchung fordern müssen. Muss nicht auch das südkoreanische Manöver "Hoguk" in einem umstrittenen Grenzgebiet als Provokation angesehen werden? Die Insel Yeonpyeong liegt in unmittelbarer Nähe des nordkoreanischen Festlandes. Einseitig hatte Ende des Korea-Krieges im Jahr 1953 US-General Mark Clark die umstrittene Grenzziehung zu Nordkoreas Nachteil festgelegt. Nordkorea hat diese Seegrenze nie anerkannt …

Die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea oszillieren im Weltmachtpoker. Bereits einige Tage vor Obamas Besuch in Japan demonstrierten Anfang November 2009 über 20.000 Japaner in Ginowan gegen den weiteren Ausbau der US-Militärstützpunkte und den Neubau eines der modernsten Einsatz- und Kampfführungszentren auf der Insel Okinawa – Fertigstellung bis 2013. Weiter verlangten sie die Schließung der in der Nähe ihrer Stadt gelegenen amerikanischen Marine-Corps-Futenma-Air-Base. Unter dem Beifall der Demonstranten rief der Bürgermeister von Ginowan, Yoichi Iha, dem japanischen Premierminister Yukio Hatoyama zu, Präsident Obama zu sagen, "dass Okinawa keine US-Basen mehr braucht". Abschließend forderte der Bürgermeister vom Premier "eine tapfere Entscheidung zu treffen und mit der Last und Qual von Okinawa Schluss zu machen".4 Schon früher hatte die Opposition gegen die Anwesenheit einer strategisch bedeutenden US-Militärbasis in Japan Stellung bezogen. Sind doch von diesem "unsinkbaren Flugzeugträger der Vereinigten Staaten" China, Taiwan und Nordkorea leicht zu erreichen. Japan als östliches Einfallstor nach Eurasien.

Völlig unspektakulär war in der US-Armeezeitung „Stars & Stripes“ am 20. Oktober 2009 vom Umzug des Hauptquartiers der „US Army/Europe“ von Heidelberg nach Wiesbaden zu lesen

Am 21. Juli besuchte US-Außenministerin Hillary Clinton zusammen mit Verteidigungsminister Robert Gates die entmilitarisierte Zone des innerkoreanischen Grenzorts Panmunjom. Dort verkündete sie schärfere Strafen gegen Pjöngjang, um dessen "nuklearen" Bestrebungen Einhalt zu gebieten. Der demonstrative Charakter dieses "Besuches" offenbarte auch das weitere Gepäck der US-Außenministerin: neue Wirtschaftsembargos gegen Nordkorea und die Ankündigung von der Zunahme der gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea in den kommenden Monaten. Das hatte der Sprecher des Pentagons, Jeff Morrell, bereits auf der Pressekonferenz am 14. Juli ausgeführt: "Auch werden gemeinsame Militärmanöver bei den Verhandlungen 2 + 2 [zwischen Nord- und Südkorea sowie China und den USA] zur Sprache gebracht. Zu denen gehören neue See- und Luftmanöver im japanischen Meer und Gelben Meer." Weiter führte Morell aus: "All diese Manöver sind defensiver Natur, aber sie geben Nordkorea eine klare abschreckende Botschaft und demonstrieren unsere unerschütterliche Verpflichtung zur Verteidigung Südkoreas."

Von Seoul flog die US-Außenministerin nach Hanoi zur asiatischen Sicherheitskonferenz. Dort warf Hillary Clinton der Regierung in Pjöngjang ein "provokatives, gefährliches Verhalten" vor. Daraufhin kündigte ein Sprecher der nordkoreanischen Delegation eine "physische Antwort" an und sprach von "Kanonenbootdiplomatie" sowie von einer Bedrohung der nationalen Souveränität.5 Nur drei Tage später kreuzten 20 Marineschiffe und 200 Kriegsflugzeuge aus Südkorea und den USA, darunter der eigens nach Korea geschickte Flugzeugträger "George Washington" vier Tage lang zwischen Südkorea und Japan. Weitere Militärübungen wurden für August geplant. Mit der Verschärfung ihres Kurses reagieren die USA auf die schwache Resolution des Weltsicherheitsrats. Der hatte den Untergang der südkoreanischen Korvette "Cheonan" im März verurteilt, ohne den angeblichen Angreifer Nordkorea zu erwähnen.6

Peking hatte eine schärfere UN-Resolution verhindert und sich "tief besorgt" über die südkoreanisch-amerikanischen Manöver geäußert. Sie würden die Spannungen in der Region weiter anheizen. Laut südkoreanischen Presseberichten haben die USA bereits seit Juni bei rund zehn Banken in Südostasien, Südeuropa und dem Nahen Osten heimlich etwa 100 Konten einfrieren lassen, über die Nordkorea angeblich illegale Geschäfte abwickeln soll.7 Warum gießt die US-Administration gerade jetzt Öl ins Feuer des Koreaproblems? Sollen dort die Chinesen gebunden werden, um selbst mehr Handlungsfreiraum gegen den Iran zu bekommen?

Trotz – oder gerade aufgrund? – aller wirtschaftlichen, politischen und militärischen Schwierigkeiten scheinen die USA an ihren globalen Plänen und der per Gesetz verankerten Seidenstraßenstrategie8 festzuhalten. Die Stützpunkte im zentralen US-Militärkommando CENTCOM – vom kaspischen Raum bis zum Horn von Afrika – werden weiter ausgebaut. Ebenso wie im Osten Eurasien wird im Westen, und zwar in Wiesbaden, das Pendant zu Ginowan (auf der Insel Okinawa) gebaut. Völlig unspektakulär war in der US-Armeezeitung "Stars & Stripes" am 20. Oktober 2009 vom Umzug des Hauptquartiers der "US Army/Europe" (USAREUR) von Heidelberg nach Wiesbaden zu lesen. Auf dem dortigen US-Airfield Erbenheim soll bis 2013 das neue Europa-Hauptquartier der US- Armee entstehen. 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nach elf US-Präsidenten seit Harry Truman (1945–1953) sollen von einem amphitheaterähnlichen Einsatz- und Kampfführungszentrum aus die militärischen Geschicke Europas gesteuert werden. Das 84 Millionen US-Dollar teure dreistöckige Zentrum wird auf ca. 26.500 Quadratmetern mit den neuesten Kommunikations- und Planungsgeräten ausgestattet und zur modernsten US-Militäreinrichtung in Europa ausgebaut. Den Grund für den Neubau erläuterte der Operationschef der USAREUR, Brigadegeneral David G. Perkins: "Bisher ist das Hauptquartier der USAREUR weder dazu ausgelegt, noch technisch oder personell so ausgestattet, dass es als Kriegsführungshauptquartier dienen könnte." Welche neuen Kriege sollen von hier aus ab 2013 geführt werden?

 

ANMERKUNGEN
    1. Quelle: R. J. Rummel: Statistics Of Democide, Chapter 10 –  Statistics Of North Korean Democide Estimates, Calculations, And Sources
    2. Quelle: Zbigniew Brzezinski: America and China’s first big test, in "Financial Times" vom 23.11.2010
    3. Quelle: Gregory Elich: Spiralling out of Control: The Risk of a New Korean War, in "Global Research" vom 4.12.2010
    4. Zitiert aus "Japanese protest US base before Obama visit", in "Yahoo News"  
    5. Quelle: Martin Fritz: US-Sanktionen gegen Nordkorea. Kalter Krieg wird heißer, in "taz" vom 23.7.2010
    6. Eine südkoreanische Untersuchung hatte ein Torpedo des Nordens als Ursache für den Tod von 46 Seeleuten identifiziert. Nordkorea bestreitet dies jedoch.
    7. Quelle: Martin Fritz: US-Sanktionen gegen Nordkorea. Kalter Krieg wird heißer, in "taz" vom 23.7.2010
    8. Zum "Seidenstraßenstrategie-Gesetz": Silk Road Strategy Act of 1999 (H. R. 1152 – 106th Congress). Offizieller Titel: "To amend the Foreign Assistance Act of 1961 to target assistance to support the economic and political independence of the countries of the South Caucasus and Central Asia." Im Mai 2006 modifiziert: Silk Road Strategy Act of 2006 (S. 2749 – 109th Congress) Offizieller Titel: "A bill to update the Silk Road Strategy Act of 1999 to modify targeting of assistance in order to support the economic and political independence of the countries of Central Asia and the South Caucasus in recognition of political and economic changes in these regions since enactment ofthe original legislation."