"Sundays for Peace"

Präsident Trump in der Normandie. Oder: Völker, hört die Signale

Von WILLY WIMMER

2019 ist das Superjahr der Staatsfeierlichkeiten in Deutschland. An was nicht alles erinnert wird: 70 Jahre Grundgesetz, 70 Jahre NATO, 30 Jahre Mauerfall. Der aufmerksame Beobachter wird feststellen, dass das nicht alles sein kann, dem dieser Tage gedacht werden sollte. Und dass das, was in den offiziellen Zeremonien ausgelassen wird, mit Krieg zu tun hat – und mit den bis ins Heute reichenden Konsequenzen. Eine öffentliche Diskussion über die Hintergründe soll wohl vermieden werden, dieser Eindruck jedenfalls drängt sich auf. Willy Wimmer, Sicherheitsexperte und Autor der Buchneuerscheinung „Und immer wieder Versailles“ (zusammen mit Alexander Sosnowski), nimmt indes kein Blatt vor den Mund.

Man kann den Demonstranten in London in diesen Tagen keinen Vorwurf machen, als sie gegen den ungeliebten amerikanischen Präsidenten Trump lautstark auf die Straße gingen. Sie machten von ihrem guten Recht Gebrauch. Auf dem Kontinent stellen sich viele die Frage, wie lange demokratische Grundrechte wie dieses noch auf unseren Straßen und Plätzen gelten. In Macron-Land gehen die Nachrichtendienste, internationalen Presseberichte zufolge, gegen unliebsame Journalisten. Im Merkel-Staat fabuliert das Zentralorgan der „grünen Khmer“ darüber, zur Vermeidung unliebsamer Wahlergebnisse Menschen ab einem bestimmten Alter das Wahlrecht zu entziehen. In England dagegen hält das gemeine Volk die demokratischen Rechte als leuchtendes Beispiel hoch. Das haben sie auch gemacht, als die ganze Welt von Tony Blair und George-dem Unsäglichen-Bush von einem Krieg in den nächsten gelogen wurde. So ganz anders als in Deutschland, wo das mit den Friedensdemonstrationen aufhörte, als man sich in den Regierungsämtern niedergelassen hatte und von einem Krieg in den nächsten abstimmen konnte.

Demo gegen Trumps Londonbesuch im Juni 2019: Zielt der Protest in die richtige Richtung? (Bild: ClemRutter/Wikimedia Commons)

 

Einzig die Queen, die im hohen Alter klug genug scheint, nicht nur das „Unternehmen Windsor“ überlebensfähig zu machen, sondern ganz Europa die Leviten zu lesen, hat dem amerikanischen Präsidenten Trump etwas ins Stammbuch geschrieben, das zwar gut klingt, aber den falschen trifft: Herr Trump ist nicht derjenige, der die internationalen Institutionen oder den Multilateralismus in Stücke schießt. Es ist seit Jahrzehnten die westliche Politik, welche die Instrumente der internationalen Ordnung und das geltende Völkerrecht regelrecht misshandelt und geschändet hat. Das jetzt zu beklagen, auch wenn es durch Ihre Majestät geschieht, geht an den geschaffenen Problemen glatt vorbei.

„Westliche Wertegemeinschaft“: ein Begriff, den man besser nur noch hervorkramt, wenn man unter eine „politische Droge“ gesetzt worden ist

Es war bei der „guten alten Tante BBC“, dass zum Staatsbesuch von Präsident Trump im England dieser Tage überaus eloquente und bestens vorbereitete britische Journalisten den langjährigen britischen Botschafter in Washington in ein strategisches Gespräch verwickelten, welches eine Sternstunde politischer Darstellung bildete, wie sie in Deutschland gänzlich unvorstellbar wäre. Der Ex-Botschafter erklärte in einer wohlgesetzten Sprache die Veränderung in der heutigen Welt. Irgendwie hatte man beim Zuhören den Eindruck, dass er den richtigen Ton getroffen hatte. Nach seiner Weltsicht ist der Einfluss der USA im Schwinden begriffen und das Land selbst immer weniger bereit, die noch verbliebene Macht auszuüben. Sichtbar wurde das bei dem holterdiepolter angesetzten Besuch des Bundespräsidenten der Schweiz vor wenigen Wochen in Washington. Das, was der Würdenträger unseres Nachbarlandes zu hören bekam, war auch die durchgehende Botschaft des amerikanischen Präsidenten Trump an seine britischen Gastgeber: Lasst euch nicht mit der Europäischen Union ein. Weg mit Brüssel, denn das Imperium braucht Futter und keine Mitbewerber, die ihm das Futter streitig machen. Das Sanktionsregime, das heute diesen Staat und morgen einen anderen Staat in die Knie zwingen soll, wirkt jetzt schon in der „westlichen Wertegemeinschaft“. Ein Begriff, den man besser nur noch hervorkramt, wenn man unter eine „politische Droge“ gesetzt worden ist.

Es bleibt nicht beim Staatsbesuch Trumps in Großbritannien. Für ihn geht es weiter an die Strände der Normandie, um an den 6. Juni 1944, und damit an jenen schicksalhaften Tag vor 75 Jahren, zu erinnern. 2019 ist ein Jahr, an dem die Gedenktage sich ballen. Ob sie mahnen, kann in Anbetracht der westlichen Politik seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien füglich bezweifelt werden. Auch die innerstaatlich unzulässige Mutation der NATO vom Verteidigungsbündnis regionaler Art zu einem globalen Angriffspakt spricht dafür, dass man keine Lehren aus der Geschichte ziehen will. Wie die Gedenktage in diesem Jahr auch begangen werden, ob mit Staatspomp oder ehrlicher Trauer: Ein Blick lohnt vielmehr auf das, an was nicht erinnert wird. So etwa die Bombenangriffe der NATO auf Belgrad im Frieden oder das Kerndatum westlicher Kriegsplanung: die Diktatmaschine von Versailles vor genau einhundert Jahren. Dort wurde nicht nur gegen jede historische Wahrheit Österreich-Ungarn und Deutschland eine Alleinschuld für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufgezwungen. Versailles war der bewusste Fahrplan nicht nur zum Zweiten Weltkrieg: ohne Versailles kein Herr Hitler und ohne Herrn Hitler kein Zweiter Weltkrieg.

Wie die Gedenktage in diesem Jahr auch begangen werden, ob mit Staatspomp oder ehrlicher Trauer: Ein Blick lohnt vielmehr auf das, an was nicht erinnert wird

Dennoch wird man politisch den Eindruck nicht los, dass die über Versailles, im Sinne der geopolitischen Agenda der Alliierten, bewusst angestrebte Willfährigkeit Deutschlands eigentlich dem Zweck dient, ein Bollwerk gegen Russland zu formen. Versailles vor einhundert Jahren wird im Gedenkkalender geradezu verschwiegen. Weil man einsieht, wer die Grundlage für das Elend Europas und der Welt gelegt hat? Der amerikanische Präsident Trump wollte bei seiner Wahl im Dialog mit Russland einen anderen Weg einschlagen. Damit brachte er die amerikanische Kongresskriegskoalition zur Weißglut und gegen sich auf und damit europäische Gefolgsleute wie die deutsche Bundeskanzlerin. Die Normandie und die Menschen, die dort als Folge des Zweiten Weltkrieges ihre letzte Ruhe gefunden haben, verlangen gerade von Präsident Trump eine Antwort nicht der „Geteilten Staaten von Amerika“, sondern der gesamten USA, ob sie geschlossen gegenüber Russland und dem russischen Volk friedenswillig, ja friedenfähig ist.

In Versailles wurde das Deutschland versagt, und die Ergebnisse sind bekannt. Es muss die Europäer bestürzen, wenn sie in den Vereinigten Staaten sehen, wie die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sich nur auf die Westalliierten zu erstrecken scheint. In Europa wünscht man sich nach „Fridays for future“ in Sachen Frieden ein „Sundays for peace“, solange es noch möglich ist.

 

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