Von WILLY WIMMER
Lieberman wird sich etwas dabei gedacht haben, den Bezug zur NATO herzustellen. Jedenfalls liegt das vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des einstigen Verteidigungsbündnisses nahe, gerade mit Blick auf die „angelsächsische Beherrschungsstruktur“ auf dem europäischen Kontinent und der USA als Führungsmacht. Anbieten würde sich solch ein Deal mit Israel schon, zumal Nuklearwaffen dort im Depot lagern – und das ohne jeden Bezug zur internationalen Rechtsordnung (Israel hat den Atomwaffensperrvertrag bekanntlich nicht unterzeichnet). Paradoxerweise wäre die Schlagkraft dieses Potenzials, sofern international angestellte Überlegungen in diesem Zusammenhang zutreffend sein sollten, ohne tatkräftige deutsche U-Boot-Hilfe gar nicht erst möglich geworden. Umfasst die deutsche Staatsräson nun bald auch noch Saudi-Arabien?
Umfasst die deutsche Staatsraison bald auch Saudi-Arabien?
Bevor die NATO auf amerikanisch-britischen Druck hin zu einem global agierenden Aggressionspakt mutierte, war sie als Verteidigungsbündnis strikt an eine Legitimationsbasis gebunden, und zwar an die Charta der Vereinten Nationen. Was also will jetzt Israel installieren? Das Modell „NATO“ vor oder nach dem Bruch der Charta der Vereinten Nationen durch den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999? Und: Wird Israel durch das Betreiben dieser Bündnisüberlegungen eine Politik forcieren, die auch in Zusammenhang mit Nuklearwaffen die entsprechenden Verträge zur Nicht-Weitergabe dieser Technologie stützen oder vollends zerstören und ad absurdum führen?
Mit der Staatsgründung Israels 1948 fand das Sykes-Picot-Abkommen des Jahres 1916 seine formale Umsetzung. Dabei legte US-Präsident Truman Wert darauf, den Namen dieses neuen Staates durch eine Gründungsentscheidung der Vereinten Nationen zu beschließen. Es gab als Balanceakt noch einen anderen Zusammenhang zu beachten, nämlich die UNO-Akzeptanz Pakistans mit seinem muslimisch bestimmten Charakter aus der kolonialen Hinterlassenschaft des britischen Kolonialreiches in Indien.
Das junge Israel ging entsprechend gegen den arabischen Widerstand vor, der sich als Reaktion auf die Gründungsentscheidung der Vereinten Nationen hervortat, die wesentlich von der damaligen Sowjetunion gestützt worden war. Es waren diejenigen Staaten, welche Lieberman heute als mögliche Bündnispartner in Auge fasst, die einen Krieg nach dem anderen gegen Israel lostraten. Saudi-Arabien hat bereits vor Jahrzehnten mit dem „König-Fahd-Plan“ regierungsseitig Konsequenzen aus den Niederlagen im Kampf gegen einen Staat mit einer durch die Weltgemeinschaft abgesegneten Gründungsakte gezogen. Dem Plan zufolge scheint ein Friede mit Israel, propagiert durch die sunnitisch-wahabitische Vormacht in der Region, seither möglich. Minister Liebermans Vorstellungen dürften eine interessante Weiterentwicklung dieser Überlegungen darstellen, die für Israel wie auch für Palästina alles offen lassen.
Wird es Präsident Trump in Anbetracht der Washingtoner Gefechtslage möglich sein, mit Moskau in einen Dialog zu treten, gerade auch was Liebermans Vorstoß angeht?
Aus der Vergangenheit wissen wir, dass es keine natürliche Feindschaft im Nahen Osten gibt. Anders kann die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen Teheran und Tel Aviv nicht gewertet werden. Bis heute ist die Großwetterlage zwischen Israel und dem Iran facettenreich und nicht nur von den offenkundigen Gegebenheiten in Gaza, Libanon und Syrien bestimmt, obwohl nicht nur dort mit allen Konsequenzen auf Stellvertreterauseinandersetzungen hingewiesen wird. Denkt man die Äußerungen Liebermans – bei denen nicht außer Betracht bleiben sollte, wo er seine Jugend verbracht hatte – konsequent weiter, landet man zwangläufig bei den Präsidenten Trump und Putin. All das, was der israelische Verteidigungsminister in besagtem Interview geäußert hat, hätte man noch vor kurzer Zeit als Vorstufe zu einem Weltkrieg werten können.
Da sich aber die Frontlinien nach den US-Wahlen verschoben haben, könnte es doch anders kommen. Dafür gibt es jedoch eine entscheidende Voraussetzung, und die wird in Washington wie Moskau gleichermaßen entschieden: Wird es Präsident Trump in Anbetracht der Washingtoner Gefechtslage möglich sein, mit Moskau in einen Dialog zu treten, gerade auch was Liebermans Vorstoß angeht? Oder setzen sich in Washington diejenigen Kräfte durch, welche – wie es aus dem Council on Foreign Relations vollmundig tönt – die gewaltige beabsichtigte Erhöhung des Kriegsetats für den künftigen europäischen Kriegsschauplatz benötigen? Und der Iran, bleibt er im Visier?
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