Ja was ist sie denn eigentlich?
Zunächst mal ein irgendwie zusammengewürfelter Haufen ...: nein, viele unterschiedlich zusammengewürfelte Häuflein und Haufen, in Zürich wieder anders als in Oakland oder New York oder Frankfurt oder Madrid oder in irgendeiner kleinen Universitätsstadt oder Industriestadt oder ... So gesehen könnte man behaupten, dass „die Occupy-Bewegung“ eigentlich gar nicht wirklich existiere. Was aber auch wiederum nicht ganz stimmte.
Immerhin: Den Besatzern gemeinsam ist ihr Unbehagen über die Finanzpolitik und die Banken. Oder die Finanzpolitiken und die Großbanken. Oder ... Und gemeinsam ist ihnen ihre Kritik an der „Globalisierung“. Wobei die einen lediglich eine andere Globalisierung wollen, viele letztlich gar mehr davon, andere wiederum weniger, bis hin zur Renationalisierung von Währungen und Notenbanken.
Manche wollen gar der Fed an den Kittel
Die einen wollen den Kapitalismus bezähmen, die anderen abschaffen, wieder andere diesen vor sich selbst retten. Manche sind Patrioten, pochen auf mehr Souveränität der Staaten, andere sehen letztlich nur in einem Weltstaat die Lösung. Manche sind Anarchisten, andere wollen harte staatliche Aufsicht. Viele halten die Politiker für Marionetten des Großkapitals, andere meinen, dass jedes Volk die Politiker habe, die es verdient. Die Politik an der ganzen Schuldenmisere schuld sei. Die habe es den Banken schließlich erlaubt, sie nachgerade dazu angestiftet, uns in diese ganze Sch... zu reiten. Und die hätten durch ihre exorbitanten Staatsschulden den Karren vor die Wand gefahren.
Weiß einer mehr als was nicht? (Bildquelle: Anja Hagen, Occupy Frankfurt)
Unterm Strich aber, das kann man wohl sagen, ist die Occupy-Bewegung tendenziell – noch? – eher klassisch links. Was man daran sieht, oder auch davon beeinflusst, dass Grüne, Gewerkschafter, Attacler, Linke, Jusos usw. sehr schnell auf den fahrenden Zug gesprungen sind: konservative Parteien und Gruppierungen jedoch eher nicht. Dabei schien ja der Grundgedanke zu sein, dass die Parteien versagt hätten. Jetzt sind sie schon wieder da wie der sprichwörtliche Pfennig (leider nicht). Und sagen, dass sie es ja schon immer gesagt hätten. Libertäre, dass es halt zuviel Sozialismus und Staat gäbe, man einfach jeden in die Pleite rasseln lassen solle, der es nicht packt, egal, wie vermeintlich „systemrelevant“. Andere – viele Konservative und Liberale – plädieren für mehr Finanzmarktaufsicht (oder auch nicht), oder sie beklagen den allgemeinen Niedergang von Werten und Moral als eigentliche Ursache der Misere. Viele halten das Trennbankensystem für die Lösung, nebst Sparen.
Manche wollen gar der Fed an den Kittel. Andere wollen das (bedingungslose) Grundeinkommen: viele in stattlicher Höhe, andere eher bescheiden; viele für jeden und alle, andere gebunden an die jeweilige Staatsbürgerschaft. Manche wollen hinwiederum eine Art Arbeitsdienst (obwohl sie natürlich meist nicht mit diesem Wort operieren).
Viele glauben an den „Arabischen Frühling“, andere halten diesen für Augenwischerei. Und: Während z. B. in Island offensichtlich der Staat bei der Bankenaufsicht versagt hat, war der Staat in Griechenland so „stark“, dass er ganz wesentlich das Land in die Pleite trieb. Teils sitzen "Internationalsozialisten" und "Nationalsozialisten" (beide sich aber eher nicht ehrlich so bezeichnend) auf demselben Bankenvorplatz und bläken. Viele würden gerne richtig Revolution machen, andere wollen unter allen Umständen friedlich bleiben, demonstrieren, bis dass die Bänker alle allein vor Scham erröten und sich ändern.
Ich will es daher mal mit einem Gedicht versuchen:
Wir sind gegen und für Politik und Banken
Für mehr Aufsicht
Und auch wieder nicht
Sie sollen abdanken
Diese Kranken
Oder auch lieber gesunden
Die Wunden verbunden
Wie bei Hempels unterm Sofa
Sieht es bei den Mächtigen aus
Oh Graus!
Der Stark ist weg
Ich will die Mark
Ganz arg
Oh Schreck!
Den Ackermann aufs Mofa!
Steuerstreik!
Schrein wie ein Jaik!
Alles regulieren!
Ohne Gnade durchregieren!
Lasst sie gehen in die Pleite!
Genug mit der Wurst nach der Specksaite geschmissen!
Dies Geschmeiß hat uns angeschissen!
Der Islam wird es lösen!
Der Zins muss ab mit einem Hieb!
So wie die Hand dem Dieb!
Den Wucherern, den Bösen!
Nein, nein, der Islam ist Faschismus!
Graus und öd und eng!
Der ist mir gar zu streng!
Besser Sozialismus!
Oder doch Kapitalismus?
Ich bin ein lieber Okkupant!
Ein friedlicher Besatzer!
Freier Zinsabfatzer!
Und kein Ignorant!
Alle diese Granden
Die da sich laben
Am Alles haben
Und reiten zuschanden:
Es sind alles Männer!
Die nichts gelernt
Der Liebe entfernt
Diese Penner!
Auf Frauen heißt es bauen!
Die täten es nie
Wie dieses rohe Vieh
Derart versauen!
Neinnein, Frauen zurück an den Herd!
Ich glaub, mich tritt ein Pferd!
Es sind ja diese ganzen
Schwulen und Emanzen
Mit ihrem Firlefanzen
Die uns gepackt
Alles versackt
Den schimmligen Ranzen!
Und so weiß jeder sein' Bescheid
Wer diesen Unfug angericht'
Dass der Menschheit Schwarte bricht
Ja: Woher der Völker Leid.
Zurück in die Vernunft der Welt, zum Geld, der Prosa.
Ich habe so etwas Heterogenes wie die Occupy-Bewegung im politischen Bereich noch nicht gesehen. Vom Heilsbringer bis zum Endzeitsinger. (Tut mir leid, ein kleiner Rückfall, allbloß temporär, nicht dauerkonträr.)
Ich habe so etwas Heterogenes wie die Occupy-Bewegung im politischen Bereich noch nicht gesehen
Vorläufiges Fazit: Die Occupy-Bewegung wird von allen erdenklichen Seiten her bewandert, unterwandert, besatzt, zerschwatzt, aufgebaut, versaut, hintertrieben, aufgerieben, mag denn doch wieder an Stärke gewinnen, in vieles, längst noch Unkalkulierbare münden: keiner hat bislang wirklich einen übergreifenden Plan. Egal, wie viele Sorösser, Walrösser, Heuschrecken und Säudecker da zurren und zerren, bimmeln und plärren: Am Ende möchte doch das Volk sich nicht mehr lassen betriegen, und siegen. Und manch ein heutiger Noch-Herr mag sich wundern, wie plötzlich den Seinen die Sache entsetzlich.
Noch ein paar Ausflüge ins Okkupantentum.
Dass Deutschland de facto immer noch besatzt ist, sei da mal nur am Rande erwähnt. Und die Okkupatoren zumindest hierzulande damit, solange sie das nicht mit aufs Tableau bringen, wenigstens einigermaßen, wofern nicht reichlich lächerlich wirken. Oder, ganz anders, die Schweizer. Wollen die wirklich auf all die Einnahmen, die Arbeitsplätze verzichten, die ihnen das weltweite (Steuer-)Fluchtkapital beschert? Die Luxemburger, die Caymanianer, die Bewohner der britischen Kanalinseln dito?
Wird auch die durch den hemmungslosen Kapitalismus befeuerte Massenmigration, mit Lohndumping, ethnischen und religiösen Konflikten, zum Thema „der“ Bewegung werden? Was ist mit all den Kriegen, die ganz wesentlich zumindest auch zur Erhaltung der Dollarvormacht geführt werden? Wie wird sich „die“ Bewegung zu den Anti-“Klimakiller“-Diktaturbestrebungen positionieren? Wie lange kann sie die oft reichlich unterschiedlichen nationalen Interessen ignorieren? Durch Forderungen nach dem einen Weltwohlfahrtsstaat?
Was ist mit der in vielen Ländern eingeschränkten Meinungsfreiheit? Ist die Wall Street ein Hort des Bösen, sind dagegen aber die USA der Bringer des Guten? Ist China ob seines Kommunismus mit Turbokapitalismus gut oder böse? Kommen gar Außerirdische mit in die Arena?
Was ist mit der EU, dem „Vertrag“ von Lissabon? Gibt es irgendein halbwegs gemeinsames Menschenbild? Welche Vorstellungen setzen sich zur Kulturpolitik durch, werden dazu überhaupt erwogen? Was ist mit sogenannter „Entwicklungshilfe“: Ist die gut, oder eher schlecht, bedarf es mehr davon, wenn ja welche, oder eher weniger, zumal von welcher? Was ist mit privatem Waffenbesitz? Gut und richtig, oder absolut verwerflich? Wie sollen Armeen aussehen? Sollen die ganz weg, oder anders strukturiert werden, oder soll nur noch eine Weltarmee her? Was ist mit Den Haag?
Klagt da weiterhin nur der Westen an, wen er gerade plattgemacht hat, allen voran die USA, die das Tribunal aber für ihre eigenen Leute nicht anerkennen? Darf man „Demokratie“ herbeibomben? Ist Israel im Recht oder nicht? Will man Privateigentum schützen, oder möchte alles allen, also niemandem nichts gehören? Fallen die Okkupanten irgendwann wechselseitig übereinander her? Bis hin zum Bürgerkrieg? Inwieweit werden Agents Provocateurs eine solche Lage zu schaffen, Eskalationen gegen die „Sicherheitskräfte“ herbeizuführen, ausgeschickt werden, um damit die Mehrheit für die „notwendige“ Einführung von noch mehr Überwachung, Ausgangssperren, Schießbefehlen, Kriegsrecht, Diktatur „reif“ zu machen?
Welche ist die „Bastille“, die vielleicht gestürmt werden wird? Wie möchten danach die neuen Jakobiner heißen? Fällt alles bald enttäuscht wieder in sich zusammen?
Wie Sie sehen, hat die Occupy-Bewegung beim näheren Hinsehen eine Menge Fragen aufgebracht. Zunächst nur das. Noch nicht eigentlich irgendetwas erreicht.
Es sei denn, man wollte die Lippenbekenntnisse von Politbonzen, Großbänkern, Kirchenoberen, das Geschwätz von Schafsmedienjournalisten, das Geseier von Soziologen, sogenannten Volkswirtschaftlern, Marxisten, Obskuranten, Eineweltlern, Gold- und Seelenverkäufern, und wie sie noch alle zu heißen sein mögen, bereits als einen Erfolg verbuchen.
Gibt es irgendein halbwegs gemeinsames Menschenbild?
Sie mag erreicht haben, dass ein paar Leute es doch ein bisschen mit der Angst zu tun bekommen. Dass einige andere sich mutig und gut fühlen.
Ob das an und für sich schon positiv ist, in Richtung auf ein gutes Ende weist: Ich weiß es nicht.
Obama trat in bereits verfahrener Lage mit dem schlichten Versprechen von „change“, also Veränderung, an. Alles sollte besser werden. Die Leute waren wie besoffen, der Messias komme, und für immer noch mehr Krieg gab es dann präventiv den Friedensnobelpreis.
Wir haben allen Grund, wiederum wachsam und vor allem umsichtig zu sein.