Dem Genre der Verschwörungsliteratur fügt Goodrick-Clarke eine überraschend neuartige Variante hinzu, nämlich die der rechten und neonazistischen Netzwerke und Gruppierungen. Nach den ersten Seiten wird klar, hier ist ein Wissenschaftler am Werk, der keine Verschwörungen konstruieren will, sondern eine Geschichtsschreibung okkultistischer Rechtspolitik im 20. Jahrhundert auf die Beine gestellt hat. Statt Spekulationen, voreiligen Rückschlüssen und faszinierenden Theorieansätzen im Konjunktiv, wie sie der gängigen Enthüllungsliteratur eigen sind, finden wir Fußnoten und Belege, Quellenangaben und alle Beweismittel seiner Forschungen. Goodrick-Clarke benutzt Primärquellen, stützt sich auf Originalinterviews.
Die Kapitel, die der Entwicklung in den USA gewidmet sind, verfolgen die scheinbar wichtigsten Organisationen von ihrer Entstehung her. So kann eine lückenlose „Tradition“ bis ans letzte Kriegsende in Deutschland verfolgt werden. Spannend sind diese Geschichten um ehemalige Nürnberger-Prozess-Ermittler und Militärangehörige. Der Autor nennt Namen, Daten, Aktionen und recherchiert biographisch bis in die Familiengeschichte der Eltern. Sein Buch lässt viele Attentäter menschlich und verständlich werden. Manche dieser oft kriminellen Karrieren werden plausibel.
Interessant auch, dass in den Vereinigten Staaten das Nazitum auch eigenständig aufgegriffen wurde. Logisch, nicht Deutschtümelei ist dort Thema, sondern die weiße Angst vor Durchmischung, die sich des Nazirassismus bedient. Hier spielt auch der Antisemitismus eine andere Rolle als in Deutschland. Verflechtungen mit deutschen Rechten entstehen erst in der jüngeren Generation.
Was diese Szene besonders „auszeichnet“ – gegenseitige Konkurrenz, Zersplitterung und der oft pure kriminelle Hintergrund – wird vom Autor spannend berichtet. Politische Kämpfe werden bis zur Ermordung ausgetragen, untergeordnete Glaubenskämpfe von ideologischen Linien transparent vermittelt. Erstaunlich sind die oft an Mafiakarrieren erinnernden Geschichten von Führerfiguren, die schließlich hinter Gittern verschwinden. (Der Stand der Faktenlage allerdings – er weist das Jahr 1999 aus – ist weit überholt. Da in dieser Szene keine Kontinuität gegeben ist, ist das Buch für eine aktuelle Einschätzung nicht tauglich.)
Im Grunde gibt es zwei wesentliche Aspekte dieser Veröffentlichung:
Der erste dient der politischen Entwicklung und zeitgeschichtlichen Einordnung der vielen nationalsozialistisch orientierten Gruppierungen, vornehmlich im englischsprachigen Raum.
Der zweite Aspekt dient der politischen Theorie sowie der Untersuchung der rechten Ideologie samt Mythenbildung. Letztere spielt eine vorrangige Rolle in Goodrick-Clarkes umfangreicher Untersuchung. Teilweise ist die okkult und ariosophisch geprägte Bewegung nur eine sektiererische Subkultur innerhalb der Rechten, teilweise prägt sie die gesamte rechte Politik. Dies genauer zu untersuchen, war jedoch nicht die Fragestellung des Buches.
Ein Schwerpunkt des Autors liegt in der Analyse der esoterischen, spekulativen und fantastischen Werke, die der rechten Bewegung Impulse geben. (Auf den Begriff „okkult“, der vom Übersetzer verwendet wird, verzichte ich ganz bewusst, da in Deutschland ein Wandel dieser Terminologie stattgefunden hat.) Auf dem Gebiet der literarischen Quellen ist Goodrick-Clarke eine Koryphäe, ein extrem belesener Mann mit scharfem Blick und Sinn für kleinste Indizien, mit denen er auch die Verfasser analysiert. Die übersichtlichen Kurzfassungen und detaillierten Inhaltsangaben vieler schwer erreichbarer Schlüsselromane und theoretischen Werke samt intelligenter Auswertung machen sein Werk einzigartig. Zu allem kommt noch, dass Goodrick-Clarke die Wirkungsgeschichte eines Titels mit biographischen Details der Autoren hinterlegt. So wird das politische Netz sichtbar, zu dessen Knoten und Ankerpunkten viele Werke wurden. Im „Schatten der schwarzen Sonne“ ist insofern auch eine lebendige Literaturgeschichte des „okkultistischen Nazismus“ bis hin zu dessen kommerzialisierten Ausflüssen im Genre der Verschwörungstheorien.
Meisterparanoiker wie Gary Allen und Des Griffin werden als rechtsradikale McCarthyisten entlarvt; rein kommerzorientierte Kolporteure wie Jan van Helsing werden als Plagiatoren zu erkennen gegeben. Goodrick-Clarke zeigt die Quellen dieser Journaille und beantwortet Fragen, auf die man nicht gekommen wäre, die jedoch um so ernüchternder sind.
Das Buch ergibt durch die Menge an verwendeter Literatur auch eine „Geistes“-Geschichte des Nazitums. Über die einschlägigen Autoren Lanz von Liebenfels und Giudo von List hinaus untersucht Goodrick-Clarke in diesem Kontext auch andere große Namen auf ihre Beweggründe hin – von Ravenscroft bis C. G. Jung, Blavatsky, Evola, La Vey über Pauwels, Bergier und von Däniken – und bereitet sie detailliert auf.
Goodrick-Clarkes Debüt in diesem Metier war das Buch „Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus“ (Marix Verlag, 2004), welches The Times als „Die Studie zur Ariosophie“ bezeichnete. Es beleuchtet mit derselben Akribie die sogenannten Pränazis des 19. Jahrhunderts bis kurz nach der Machtergreifung Hitlers (ein Leckerbissen für Forscher, mit vorbildlichem Apparat und kriminalistischer Genauigkeit recherchiert).
Leider ist Goodrick-Clarke nicht frei von Klischees. So zeigt sich Voreingenommenheit gegenüber der Black-Metal-Szene. Ihm gelingt es nicht, eine klare Grenze zwischen Satanisten und Nazis zu ziehen. Überhaupt scheint er in Sachen Satanismus befangen. Wer z. B. Anton Szandor La-Vey gelesen hat, kann im Satanismus nur eine pubertäre Protestbewegung erkennen. Goodrick-Clarke scheint hier so „brav bürgerlich“ zu denken, dass er allein vor der Begrifflichkeit des Teufels erschauert.
Zurück zu Metal und Skinheads. Teilweise schreibt er, dass Skinheads unpolitisch sind, unterscheidet klar von den Nazi-Skinheads. An anderer Stelle unterläuft ihm jedoch der Fehler, dass er in der Aufzählung der politisch motivierten rechten Skins auch Oi! erwähnt.
Es gab und gibt jedoch auch eine Anti-Nazi-Bewegung innerhalb der Skinheads. Viele dieser Leute nennen sich Oi! oder sympathisieren mit Oi!. Diese „politisch korrekte“, musikalische Bewegung mit Wurzeln in Rock und Punk, war schon früh von England nach Deutschland hinübergeschwappt. Leute mit "normaler" Sozialisierung, kulturell positiven Ambitionen, die einen toleranten und eher fortschrittlichen Lifestyle pflegen.
Beim Thema Crowley, kann sich Goodrick-Clarke des Suggestionsversuches nicht erwehren, Saturn mit Satan zu vermengen. Die Art, wie er Crowley in Nazinähe rückt, hat jener nicht verdient. Goodrick-Clarke verwechselt den Antimoralismus Crowleys mit dem niederträchtigen, politischen und unethischen Nihilismus der Rechten.
Immerhin bewertet er H. P. Blavatsky überraschend objektiv. Dankenswert ist die Tatsache, dass er vermeintliche rassistische Tendenzen in der Anthroposophie nicht einmal anspricht. Damit war er zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung der deutschen Diskussion schon weit voraus. Allein durch konsequente Nichterwähnung konnte er dem Naziverabscheuer Steiner keinen besseren Dienst erweisen.
Die Fakten um C. G. Jung sind interessant, zum Teil neu, aber nicht ganz unbedenklich. Wo Goodrick-Clarke aktive Protagonisten ihres Gebietes während der Nazizeit erwähnt, gelingt es ihm – wie im Falle Hermann Wirth – nicht, dessen eigentlich unpolitische Gesinnung zu erkennen und differenziert darzustellen. Wirth, den ich persönlich kannte, kann sicher kein Vorwurf gemacht werden, dass er rassistisch gewesen wäre.
Abenteuerliche Urteile finden sich auch über neutrale Geistesgrößen. Ich zitiere aus dem Kapitel über Evola: „Die antidemokratische und antimodernistische Tendenz in Evolas Einstellungen erstaunt nicht, wenn man berücksichtigt, welche Philosophen sein Denken vorwiegend geprägt haben: Platon, Nietzsche, Oswald Spengler …“
Im Fall Nietzsche, schlimmer noch als bei dem politisch unbedarften Antisemiten Wagner, war es die sich den Mächtigen anbiedernde Verwandtschaft, welche die Nähe zum Nationalsozialismus posthum konstruierte. Spengler hat er wohl etwas eingehender gelesen als Nietzsche. Wenn er ihn schon inhaltlich objektiv darzustellen vermag, warum hackt er auf ihm als Kulturpessimisten herum? Das ist ein längst überlebtes Klischee. Allen Dreien, erst recht Plato, tut er Unrecht, wenn er sie Elitedenken und Machismus zuordnet. Trotzdem ist die Darstellung Evolas hervorragend, sehr umfang- und kenntnisreich und zeigt auch eine psychologisch ernstzunehmende Seite. Gleichzeitig ist es die beste Darstellung von Evolas Gesamtwerk, die ich bisher kenne.
Im Kapitel über Serrano werden ebenfalls sehr gut recherchierte Querbezüge hergestellt und sein persönliches Umfeld erschöpfend dargestellt. Auch hier eine interessante und akribische biografische Darstellung. Ähnlich bei Landig und den älteren Verfassern: Goodrick-Clarke gelingt es, eine objektive Sichtweise zu vermitteln. Er wertet relativ selten, lässt allein die Fakten sprechen – und dürfte damit selbst rechte Leser erreichen.
Vielleicht hat sich der Autor mit dem informativen und detailliert dokumentierten Schinken überfordert. Sein Stil ist Schwankungen unterworfen. Sehr sachlichen Kapiteln folgen Passagen wie die um den bereits erwähnten Szandor La Vey: „Madole und LaVey trafen sich häufig (...) Madole soll in seiner Wohnung einen großen satanistischen Altar aufgestellt haben. Wagner (der Informant) bestätigt zumindest, dass dort ein Bild des Baphomet hing und dass Madole bei verschiedenen Parteisitzungen die Tonaufnahme einer schwarzen Messe La Veys spielte.“ Verzeihung, das ist nicht mehr Sachbuchstil, sondern Yellow Press.
Rein sachliche Fehler, wie etwa in der deutschen Fassung die Passage: „Zweiten Körper (also Reinkarnation)“, passieren erfreulich selten. Im Original meinte der Autor den Astralkörper sowie Reinkarnation, und hat dies nicht gleichgesetzt, sondern aufgezählt. Auch den Begriff „kosmische Strahlung“ darf ein Übersetzer hier nicht verwenden. Dies ist ein physikalischer Begriff. Gemeint sind „kosmische Strahlen“, wie wir sie z. B. aus der theosophischen Literatur kennen.
Goodrick-Clarke geht bis hin zur philosophischen Einbindung der rechten Ideen. Seine Herleitung der arischen Begrifflichkeit innerhalb der deutschen Geistesgeschichte und deren spätere Umsetzung in politische Bedürfnisse ist spannend und rundet, besonders für deutsche Leser, das Werk ab. Der Autor ist historisch unbestritten eine Kapazität. Dies gilt denn auch für die Kapitel um die „Nazi-Mysterien“. Hier trägt er rares Material zusammen und zieht die richtigen Schlüsse. Wir erfahren Neues über die okkulten Neigungen der Rasseherren und die Versuche, sich selbst zu mythologisieren, samt Erfindung der Geheimwaffen, die von Politromantikern bis zur V10 hinstilisiert wurden.Von Shambala bis Thule werden auch geopolitische Ideen dargelegt, erklärt und sowohl ihre persönlichen Verfechter als auch Gesellschaften, die sich dieser Ideen bedienten, ausführlich beschrieben. Er lässt es nicht dabei, die Mitgliedschaften nach der Literatur zu registrieren, sondern überprüft diese Quellen, legt dar, wem z. B. die Thule-Mitgliedschaft nur angedichtet wird. Ja, er unterscheidet bei den führenden Persönlichkeiten des sogenannten Dritten Reiches auch zwischen Mitgliedschaft und Gaststatus, zwischen mystisch interessierten und den Mitgliedern, die völlig agnostisch sich über Thule-Esoteriker aufregten.
Dergestalt gibt Goodrick-Clarke auch neue und spannende Einblicke in die inneren Zirkel der Machtelite. Besonders die Frühzeit wird untersucht. Die Rolle Sebottendorfs, die Rolle Haushofers, eine Analyse und Richtigstellung seiner Reisen aufgrund von Dokumenten, gegenüber den Behauptungen Pauwels. Wir lernen, dass Pauwels und Bergier, die Franzosen, munter fabulierten oder kolportierten. In diesem, dem umfangreichsten Kapitel des Buches, das für Historiker des Dritten Reiches eine Fundgrube ist, beweist Goodrick-Clarke auch seine Stärke in der Esoterik und arbeitet bewundernswert interdisziplinär.
Insgesamt ist dieses Buch ohne Scheuklappen vielleicht deshalb auch an manchen (wenigen) Stellen schwach, weil es nichts auslassen will. Das zeichnet die Arbeit des Verfassers im Endeffekt jedoch als vorbildlich aus.
Was dem dicken Band – der mit 19,90 € sehr preiswert ist – leider fehlt, ist ein Register. Der Verlag will ein solches ins Web gestellt, das sogar heruntergeladen und ausgedruckt werden kann. Stattliche 782 Fußnoten, in denen auch die umfangreichen bibliographischen Angaben verstaut sind, machen das Werk zu einem wertvollen Arbeitsbuch.
Fazit: Sehr empfehlenswert. Ein umfassendes, überfälliges und wichtiges Standardwerk für politisch, esoterisch und zeitkritisch interessierte Leser.
Titel: | Im Schatten der schwarzen Sonne |
Untertitel: | Arische Kulte, esoterischer Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung |
Autor: | Nicholas Goodrick-Clarke |
Jahr: | 2009 |
Verlag: |
Marix Verlag |
Genre: | Sachbuch |
Aufmachung: |
576 Seiten, gebunden |