Israeldebatte zwischen Pranger und (Kriegs-)Propaganda

Von WOLFGANG EFFENBERGER

„Was gesagt werden muss“, das umstrittene Gedicht von Günther Grass, dem vielleicht bekanntesten zeitgenössischen deutschen Literaten, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, zumindest unter vielen Politikern und vor allem im erschreckenden Einerlei der Medienlandschaft. Dabei wurde und wird einmal mehr ein Brei an Plattitüden, Stereotypen und Halbwahrheiten hochgekocht. Kaum zu Wort kamen in dem ganzen Trubel diejenigen Stimmen, die hierzulande dem Schriftsteller in seinem Friedensappell beipflichteten, auch die aus jüdischen Reihen. zeitgeist-Autor Wolfgang Effenberger hat die Fakten gesichtet und geordnet.

Anzeige(n)

Nur acht Tage nach der Veröffentlichung von Grass‘ Gedicht in der Süddeutschen Zeitung, hatte die ZDF-Moderatorin Maybrit Illner eine illustre Runde geladen. Titel: „Grass am Pranger“. Schon die Auswahl der Gäste gab kaum Anlass zu der Hoffnung, dass hier eine objektive Auseinandersetzung zu erwarten war.

Den Spagat des Abends machte Frau Illner mit Ihrer Eingangsfrage deutlich: „Wie weit darf unsere Kritik an Israel gehen – und wie weit muss unsere Solidarität reichen?“ In den Farben der israelischen Flagge gekleidet, signalisierte sie ihre Parteinahme, um dann auch als erstes Hendryk Broder zu zitieren, der in Günter Grass einen modernen Antisemiten sieht, weil es bei Grass nur darum ginge, „den Holocaust oder die Verbrechen der Nazis zu relativieren.“1 Dass bei dieser Sichtweise der Staatsanwalt gegen Günter Grass wegen Verletzung des Paragraphen 130 (Volksverhetzung) ermitteln müsste, wurde nicht thematisiert. Nach Absatz 3 dieses Paragraphen wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe belegt, „wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung [...] leugnet oder verharmlost.“2

„Wie weit darf unsere Kritik an Israel gehen – und wie weit muss unsere Solidarität reichen?“
Talkrunde mit Maybrit Illner

Talkrunde mit Maybrit Illner anlässlich der Reaktionen auf das Gedicht von Günter Grass (v. l.: Michel Friedmann, Avi Primor, Maybrit Illner, Franziska Augstein, Peter Scholl-Latour, Quelle: Screenshot ZDF)

Dann blendete Illner weitere Stimmen von Grass-Gegnern ein (Quelle: Screenshots ZDF):

 

Michel Friedman sieht in Günter Grass einen geistigen Brandstifter, da Grass mit antisemitischen Vorurteilen arbeite und mit antisemitischen Klischees spiele: „mit dem Weltjudentum, mit der Macht der Juden, mit der Vernichtungsmacht der Juden.“ Hier widersprach eine von der Moderatorin ziemlich allein gelassene Franziska Augstein heftig: Nichts von den Anschuldigungen Friedmans konnte sie in dem rhythmisch geschriebenen Gedicht von Grass wiederfinden. Für Frau Augstein ist Grass kein Antisemit. Sie gibt ihm Recht, wenn er vor einem Atomschlag, vor einen Krieg, vor einem Angriff Israels auf den Iran warnt.

Auf Friedmans Zwischenfrage, warum Grass nicht vor einem Angriff Irans auf Israel warne, konterte eine kämpferische Franziska Augstein souverän und verwies auf das letzte Geheimdienstdossier „National Intelligence Estimate“ (NIE) der sechzehn US-amerikanischen Nachrichtendienste zur Nationalen Sicherheit, das abgestimmte Analysen, Prognosen, Urteile und Hintergrundinformationen enthält.3 Darin wird festgehalten, dass der Iran keinen Bau einer Atombombe plant und auch nicht plant, Israel anzugreifen.

Ungeachtet dessen fragte Friedmann weiter, ob sie, Franziska Augstein, nicht wahrgenommen hätte, dass der Iran und seine Repräsentanten seit Jahren Tag um Tag die Vernichtung des Staates Israel wollten und setzte noch hinzu: „Ich muss nicht als Israeli mit offenen Augen zusehen, dass man mich ins Meer schmeißen will.“ Überhaupt  bemühten Michel Friedmann und Avi Primor während der Sendung mehr als ein halbes Dutzend Mal die Metaphern „von der Landkarte fegen“ und „ins Meer werfen“, ohne dass die Moderatorin Belege dafür einforderte. Friedmann und Primor  bezogen sich nicht mehr explizit auf Mahmud Ahmadinedschad, sondern allgemein auf den Iran oder die iranische Regierung.

Im „National Intelligende Estimate“ wird festgehalten, dass der Iran keinen Bau einer Atombombe plant und auch nicht plant, Israel anzugreifen

Auch der beliebte systemkonforme abendliche Welterklärer Claus Kleber verwendete wenige Wochen zuvor in seinem umstrittenen Interview mit Mahmud Ahmadinedschad eine ähnliche Formel. Zunächst tauschten die Interviewpartner lediglich ihre Exklusivwahrheiten aus. Claus Kleber, indem er in transatlantischer Rhetorik den westlichen Forderungskatalog aufblätterte und Ahmadinedschad, in dem er westliche Sündenfälle aufzählte.

Kleber versus Achmadinedschad: das umstrittene Interview vom 18. März 2012 (Quelle: Screenshot ZDF)

Als Ahmadinedschad darauf verwies, dass das palästinische Volk weder beim Zweiten Weltkrieg noch bei den Ereignissen danach ein Rolle spielte, fragte Kleber: „Ist das der Grund dafür, dass Sie einmal gesagt haben, dieses Land [Israel] wird von der Landkarte verschwinden?“4

Gegen die Anweisung des ZDF-Intendanten Markus Schächter vom 5.6.2008 und somit wider besseres Wissen und unter Verletzung seiner journalistischen Sorgfaltspflicht griff Kleber mit dieser Frage auf die seit Jahren widerlegte Darstellung der New York Times vom 26. Oktober 2005 zurück.5

Drei Wochen vor der Anweisung des ZDF-Intendanten hatte „Spiegel online" am 15.5.2008 eine Richtigstellung veröffentlicht:6

  

Das Bild mit der Texteinblendung ist Teil einer Fotostrecke bei Spiegel online. Die Übersetzung „Israel muss von der Landkarte getilgt werden“ wird als Irrtum eingestanden. Auch der Artikel auf dieser Seite verwendet das Zitat „Das Besatzerregime muss Geschichte werden“ und nicht mehr „Israel muss von der Landkarte getilgt werden“.

Zuvor hatte auch schon die Nachrichtenagentur AP Deutschland eingestanden, mit der Verbreitung der Formulierung „Israel muss von der Landkarte getilgt werden“ einen Fehler begangen zu haben und erklärt, dass sie die falsche Wiedergabe des Zitats nicht mehr verwendet.

Die Übersetzung „Israel muss von der Landkarte getilgt werden“ wird als Irrtum eingestanden

Am 13. Juli 2008 griff der Satiriker Georg Schramm alias Oberstleutnant Sanftleben die Richtigstellung der Aussage von Ahmadinedschad auf, verwies auf die Anweisung von Schächter und nahm zu den wahren Gründen für einen drohenden Krieg Israels bzw. der USA gegen den Iran Stellung.

Könnte die bewusste Verwendung der falschen Übersetzung womöglich strafrechtlich relevant sein (Volksverhetzung), da nur die richtige Übersetzung im Einklang mit dem Völkerrecht steht?


Oben und unten: Auch Georg Schramm äußerte sich zur falschen Wiedergabe des Achmadinedschad-Zitats (Quelle: Screenshots ZDF)

Im Bewusstsein seiner staatstragenden Rolle hatte Kleber den iranischen Präsidenten auf die Bedeutung dieses Interviews hingewiesen: „Herr Präsident, die Welt schaut auf dieses Interview.“ Merkwürdig nur, dass dieses Interview dann erst nach Mitternacht gesendet wurde. Könnte es daran liegen, dass der Versuch, den iranischen Präsidenten zu dämonisieren, gründlich misslungen war? Die Frage, warum um alles in der Welt ein solcher Scoop bei ZDFinfo zwanzig Minuten nach Mitternacht gesendet werde, griff auch Stefan Buchen in seinem lesenswerten Artikel „Selbstdemontage eines Nachrichtenstars“ auf.

Die Reaktionen auf das Gedicht von Günter Grass scheinen zu bestätigen, dass der 84-jährige Literaturnobelpreisträger mit seiner politischen Aussage messerscharf den Kern der gegenwärtigen Auseinandersetzung Israel-Iran getroffen hat: „Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden? Weil gesagt werden muß, was schon morgen zu spät sein könnte; auch weil wir - als Deutsche belastet genug – Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre.“7 Aufheulend spricht ihm jetzt die breite Masse unserer freien Journalisten (frei von was eigentlich?) jeglichen Verstand, Anstand oder sonstige Fähigkeiten ab.

Am Ostersonntag hatte Israels Innenminister Eli Jischai Günter Grass wegen eben seines Gedichts zur Persona non grata erklärt und ein Einreiseverbot verhängt – bislang wurde vor allem Rechtsextremisten die Einreise nach Israel verboten. Das Gedicht habe darauf abgezielt, „das Feuer des Hasses auf den Staat Israel und das Volk Israel anzufachen“.8
Grass habe im Grunde nur das getan, was auch der ehemalige Mossad-Chef Meïr Dagan beinahe jeden Tag tue: Nämlich vor einem israelischen Angriff auf den Iran zu warnen

Diesen Beschluss nannte der israelische Historiker Tom Segev albern und zynisch. Fatal findet es Segev, dass sich Israel damit in die Nähe fanatischer Regime rückt – wie etwa Iran, Ländern, „zu denen wir absolut nicht gehören wollen“9. Die Frage, ob Grass nun durch sein Gedicht zu Israel und Iran ein Antisemit sei, verneinte Segev. Grass habe im Grunde nur das getan, was auch der ehemalige Mossad-Chef Meïr Dagan beinahe jeden Tag tue: Nämlich vor einem israelischen Angriff auf den Iran zu warnen.

Am frühen Morgen des 4. April hörte Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, von dem Gedicht und war begeistert! Weniger begeistert war die Gründerin der deutschen Abteilung der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ von Hendryk Broder, dem ersten Treiber, der zur Jagd blies.10 Nicht Grass habe ein Problem mit Juden, sondern Broder mit den Deutschen. Für Frau Hecht-Galinski ist Grass keineswegs der Prototyp des gebildeten Antisemiten, „sondern einer der wenigen deutschen Dichter und Denker in den Fußstapfen von Heine, Goethe, Schiller und Fried.“11

Jürgen Jung, der vor kurzem Frieds Gedichtzyklus „Höre Israel“ im Melzer-Verlag als Hörbuch herausgegeben hat, sieht in dem Gedicht genau das, was Peter Rühmkorf in den 1960er-Jahren als die Qualität der Lyrik Erich Frieds erkannte: Jedes seiner Gedichte lasse sich „als Dechiffriergerät verwenden [...], geeignet, herrschende Einwickelverfahren nachhaltig zu durchleuchten und mithin ein Stück verstelltes Daseins zu Kenntlichkeit zu entwickeln“12.

Der Brechreiz überkommt Hecht-Galinski, wenn sie die wüsten Rundumschläge dieser Israel-Versteher und Pro-Israel-Politiker aller Couleur liest. Wollen wir Israels Sicherheit als Staatsräson, wenn es im Namen der Selbstverteidigung Angriffskriege und Präventivschläge plant?, fragt sie. Israel ist dank unserer und der US-Hilfe ein bis an die Zähne bewaffneter Atomstaat, „der den Weltfrieden bedroht“.

Für Hecht-Galinski instrumentalisiert „Israel den Begriff des Holocaust aufs Schändlichste und schämt sich nicht, im Angedenken der ermordeten Juden, alle Juden für seine Zwecke zu missbrauchen.“ Warum, so fragt sie, „geht nicht ein Aufschrei durch die Parteien und den Blätterwald, um Günter Grass zu unterstützen?“ Und liefert sogleich die Antwort: „Weil es immer wieder die Vermischung von Antisemitismus und Antizionismus gibt, durch die man es immer wieder schafft, allen Kritikern den Maulkorb zu verpassen.“ Dann folgt der Verweis auf die schon so vielen Intellektuellen, die Israel verlassen mussten, weil ihnen dort die Lebensgrundlage entzogen wurde. Für das, was Günther Grass als Literaturnobelpreisträger sagen musste, gebührt ihm Hecht-Galinski zufolge der Friedensnobelpreis!

Den wird er aber nicht bekommen, denn Günter Grass trägt die offizielle Sprachregelung, nach der die Bedrohung von Iran ausgeht, nicht mit und sabotiert damit die propagandistische Vorbereitung eines Angriffskriegs.

Ebenso wie bei Frau Hecht-Galinski ist es für den israelischen Soziologen Moshe Zuckermann müßig, nochmals darlegen zu sollen, „warum die Kategorien Juden, Zionisten und Israelis und – davon sich ableitend – Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik auseinanderzuhalten sind.“ Keineswegs darf die sich als verantwortungsloser denn je erweisende Verwendung des Antisemitismus-Begriffs als polemische Schmähpraxis hingenommen werden. Hat doch der inflationäre Gebrauch des Begriffs bereits dermaßen zu seiner Banalisierung beigetragen, „daß er sein ursprüngliches emanzipatives Aufklärungspotential nahezu vollends zugunsten interessengeleiteter, perfider Diffamierungstaktiken und -strategien eingebüßt hat“. Zuckermann ist überzeugt, dass in der Bekämpfung des realen Antisemitismus nichts mehr schadet als diese entstellt-entstellende Nomenklaturorgie. Für ihn ist sie in Deutschland mittlerweile zum „zentralen Faktor der Degeneration der öffentlichen Debattenkultur im Hinblick auf alles, was ,Juden‘, ,Israel‘ und den ,Zionismus‘ belangt, avanciert.“13

Der inflationäre Gebrauch des Begriffs Antisemitismus hat bereits dermaßen zu seiner Banalisierung beigetragen

In der Tat sagt der vom deutschen Historiker August Ludwig von Schlözer (1735–1809) im Jahr 1781 als Reaktion auf die Judenemanzipation geprägte Begriff „Antisemitismus“ nichts Konkretes aus. Wer weiß schon, dass unter der Bezeichnung „Semiten“ die im Vorderen Orient heimischen  Völkergruppen verstanden werden, deren gemeinsamer Stammvater nach der biblischen Genesis der älteste Sohn Noahs, Sem, ist? In Anlehnung daran bezeichnete man in biblischer Zeit alle Völker des Nahen Ostens, die sich als Nachkommen Abrahams betrachteten, als „Söhne des Sem“ („Das sind die Kinder von Sem in ihren Geschlechten, Sprachen, Ländern und Leuten.“ 1. Buch Mose, 10/31)14. Demnach gehören zu den Semiten u. a. die Assyrer, Äthiopier, Araber, Babylonier, Hebräer Phönizier sowie vor allem auch Palästinenser und Syrer. Heute wird das Etikett „Antisemitismus“ fast ausschließlich auf Juden bezogen und als Kampfbegriff dazu benutzt, Kritik an Israel erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Wenn die Worte nicht stimmen, so der chinesische Philosoph Konfuzius (551–479 v. Chr.), dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. In diesem Fall verderben Sitten und Künste. „Darum achte man darauf“, so der weise Philosoph, „dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.“ Deshalb sollte man den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen und die Begriffe zu unterscheiden: den Hass auf die Juden, die Ablehnung der jüdischen Religion, die Kritik am Zionismus und die Kritik an der israelischen Regierung. Das Totschlagargument „Antisemitismus“ müsste zum Unwort des Jahres werden!

Das „Darmstädter Signal“ – eine Vereinigung kritischer Bundeswehrsoldaten – verurteilt die Hetze gegen Günther Grass. Unter der Überschrift „Angriffskrieg ist ein Verbrechen“ rief am 7. April 2012 der Vorstand zu differenzierter Sicht in der Diskussion zum Irankonflikt auf. Unter Berücksichtigung der besonderen deutschen Verantwortung wird gefordert, dass „Stimmen, die in solcher Situation des Heraufwachsens militärischer Konflikte zur Vernunft rufen und gegen Aufrufe zur bewaffneten Konfliktlösung sprechen, nicht mit Antisemitismus oder Zweifeln am Existenzrecht des Staates Israel gleichzusetzen.“

Angriffskrieg ist immer ein Verbrechen!

Dies zu bedenken nutzt allen heute in Israel, in Iran und in Deutschland lebenden Menschen. Der israelische Schriftsteller David Grossmann fragt rhetorisch: „Hat irgendein Mensch das Recht, so viele Menschen zum Tode zu verurteilen, nur weil er Angst vor einer Situation hat, die vielleicht nicht eintreten wird?“ Diese Angst der Israelis führte Avi Primor in der Diskussionsrunde mit Maybrit Illner immer wieder ins Feld: „Man verspricht ihnen die Vernichtung, man erzeugt Atomwaffen, man unterstützt Gruppierungen, die Israel angreifen ...“.

Obwohl der ehemalige israelische Botschafter damit kokettierte, kein Freund von Benjamin Netanjahu zu sein, nahm er den Regierungschef in Schutz: Netanjahu habe, anders als seine Vorgänger, noch keinen Krieg geführt. Sein Vorgänger, der ernsthaft mit den Palästinensern verhandelt hat, habe hingegen zwei Kriege entfesselt, innerhalb von drei Jahren. Und seine Vorgänger auch.15

Unterschlagen hatte Primor den Umstand, dass nach dem am 12. Juli 2006 vollzogenen israelischen Einmarsch im Libanon Netanjahu als Hardliner einen härteren Umgang mit den Palästinensern forderte und vom Ministerpräsidenten Ehud Olmert unumwunden den Rücktritt verlangte, da dieser die Ziele des Angriffskrieges verfehlt habe – also nicht weit genug gegangen sei.  So antwortete Peter Scholl-Latour auf die Frage, wer im Moment der gefährlichere Politiker sei, die Herren Chamenei/Ahmadinedschad oder Benjamin Netanjahu, prompt: „Im Moment würde ich sagen: Netanjahu.“

Hat Günter Grass vielleicht doch Recht: Ist Israel zurzeit keine Friedensmacht?

Angriffskrieg ist immer ein Verbrechen

Die Gefahr für Israel droht nicht von Seiten eines gealterten Publizisten, der mit letzter Tinte noch einmal zur Vernunft mahnt, sondern von bestimmten politischen Gruppierungen in Israel selbst. Der 83-jährige israelische Friedensfreund Reuven Moskovitz benennt sie: eine unerbittliche rechtsradikale Koalition von Nationalisten, Klerikalen, Rassisten und McCarthisten. Ein Hagel anti-demokratischer Gesetzesvorschläge und ein Angriff auf das oberste Gericht kennzeichnen nach Moskovitz viele Debatten in der Knesset. „Hinzu kommt der Angriff auf die nicht-jüdischen Bürger Israels – die Palästinenser – sei es durch Vertreibung und Häuserzerstörungen, sei es durch Verleumdung wegen Unloyalität dem Staat Israel gegenüber.“16

Für Moskovitz hat sich gezeigt, dass der Frieden im Nahen Osten nicht von den USA kommen kann. Für ihn ist es eine einmalige Gunst der Stunde, dass „die Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für die von der NS begangenen Untaten übernimmt, sich profiliert als friedensschaffender Staat, der kompetent diese zwei verletzten Völker versöhnt“17.

 

ANMERKUNGEN
    1. „Grass am Pranger“: Talkshow mit Maybrit Illner vom 12. April 2012, zu sehen in der ZDF-Mediathek
    2. Zitiert aus: http://lawww.de/Library/stgb/130.htm, Zugriff am 25.4.2012
    3. Das „National Intelligence Estimate“ (NIE) wird vom National Intelligence Council (NIC) erstellt. Diese seit 1973 bestehende und mit etwa zwölf Analytikern besetzte Abteilung fungiert als übergeordnetes analytisches Organ der Geheimdienste. Bis 2005 war das NIC der CIA unterstellt, heute übernimmt diese Aufgabe der Director of National Intelligence (DNI).
    4. Zitiert aus: Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Interview mit Claus Kleber vom 19.3.2012, zu sehen in der ZDF-Mediathek
    5. Quelle: www.arbeiterfotografie.com/iran/index-iran-0034.html, Zugriff am 9. April 20121
    6. Vgl. „Ahmadinedschads absurder Droh-Dschihad“, veröffentlicht am 15.05.2008 auf Spiegel online
    7. Grass' Gedicht „Was gesagt werden muss“ im Wortlaut, veröffentlicht am 4. April 2012 in der Süddeutschen Zeitung
    8. Zitiert aus: „Israel verhängt Einreiseverbot gegen Günter Grass“, veröffentlicht am 8. April 2012 auf Spiegel.de
    9. Zitiert aus: „Einreiseverbot für Grass: ,Damit rückt Israel sich in die Nähe Irans'“, veröffentlicht am 8. April 2012 auf Spiegel.de
    10. Vgl. „Günter Grass: Ein autoritärer Knochen spielt verfolgte Unschuld“, veröffentlicht am 6. April 2012 auf Welt online
    11. Zitiert aus: Evelyn Hecht-Galinski: „Kollektive Oster/Pessach-Treibjagd ist eröffnet“, veröffentlicht am 5. April 2012 in der Neuen Rheinischen Zeitung
    12. Quelle: Jürgen Jung: „Überlegungen zum Gedicht von Grass“, veröffentlicht am 8. April 2012 unter GT-Worldwide.com
    13. Zitiert aus: Moshe Zuckermann: „Wer Antisemit ist, bestimme ich“, veröffentlich in 10. April 2012 in der Taz
    14. Martin Luther: BIBLIA . Das ist: die ganze heilige Schrift. Aufs neue verglichen mit der ausgabe letzter hand vom Jahre 1545. Altona 1842, S. 20
    15. „Grass am Pranger': Talkshow mit Maybrit Illner vom 12. April 2012, zu sehen in der ZDF-Mediathek
    16. Quelle: Reuven Moskovitz in einem Brief an seine Freunde vom 26. Juli 2011
    17. Ebenda.