7. Februar 1992: Der Anfang vom Ende eines freien Europas?

Rückblick und Vorausschau

Von WILLY WIMMER

Vor 27 Jahren wurde im niederländischen Maastricht ein Vertrag geschlossen, der Europa in ein neues friedliches und beständiges Miteinander führen sollte. Heute beschleicht den nüchternen Betrachter eher das Gefühl, das seinerzeit die politische Leimrute gelegt wurde, an der auf der Wegstrecke nicht weniger als unsere Freiheit hängen blieb: die der Bundesregierung, die des Parlaments, die der Presse, ja selbst die Meinungsfreiheit ist in Gefahr.

Es waren jene Jahre, welche die Menschen in Europa hoffnungsfroh stimmten: Mit der Wiedervereinigung Deutschlands endete der Kalte Krieg, und die Spaltung Europas schien der Vergangenheit anzugehören. Im November 1990 hatten sich in der berühmten „Charta von Paris“ die Staats- und Regierungschefs derjenigen Staaten, die das Ende des Kalten Krieges herbeigeführt hatten, den Frieden in Europa in die Hand versprochen. Niemand indes wollte die Warnung des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl hören, dass die Uhren in Washington so gänzlich anders tickten, was die zukünftige amerikanische Politik angehen sollte. In den Vereinigten Staaten frohlockte man, dass der „dritte Weltkrieg“ nun endlich vom Tisch sei, den man ja offenkundig, so die gefühlte Wahrnehmung jenseits des Atlantik, gegen die Sowjets gewonnen hatte.

Der am 7. Februar 1992 in Maastricht geschlossene Vertrag hatte zum Zweck, die Einheit des westlichen Europa zu befördern. Die fast „heiter“ zu nennende Stadt am Ufer der Maas schien den europäischen Völkern eine bessere Zukunft zu versprechen. Niemand ahnte seinerzeit, dass wenige Jahre später über den „Lissabon-Vertrag“ des Jahres 2009 die Schleusen geöffnet wurden, den europäischen Völkern die Souveränität zu nehmen. Triumphierend tönt es seither aus dem Europäischen Gerichtshof: Man befände sich in einem Übergang von der Souveränität der Völker hin zu einem neuen europäischen Souverän. Dessen Konturen seien in der „Mache“ und müssten sich erst herausschälen.

Lobbyformationen, Denkfabriken und sogenannte Nichtregierungsorganisationen haben sich über das hergemacht, was eigentlich und ausschließlich in den Händen der Bürger und ihrer frei gewählten Abgeordneten liegen sollte

Europäische Spitzenvertreter ließen sich während der Migrationskrise des Jahres 2015 erwartungsfroh vernehmen, dass die Nationalstaaten mit keiner globalen Entwicklung mehr fertig werden könnten. Deshalb seien sie zu beseitigen. Für jeden Bürger im Geltungsbereich der Europäischen Union konnte das nur eines bedeuten: Sein Mitwirkungsrecht am politischen Leben des Staates gehörte von da an der Vergangenheit an. Dieses Mitwirkungsrecht, auf der Ebene der Nation auch „Selbstbestimmungsrecht“ genannt, war nach Ansicht von EU-Europa „perdu“. Der Staatsbürger sollte also endgültig vom „Souverän“ zum Steuerzahler und Konsumenten verkommen.

Gedenksäule in Maastricht: unfreiwillig auch Grabstein? (Bildquelle: Wikimedia Commons)

 

Bis 1992 war alles bestens in Europa, dem Brüsseler Europa: Der Bürger in Deutschland war die „Brandt‘sche Demokratie“ gewohnt. Da sollte sich mit „Maastricht“ gründlich ändern. Das „politische Bonn“, bis dann zu fast 100 % für Entscheidungen auf Seiten der Regierung und des Parlamentes verantwortlich, wurde über den Maastrichter Vertrag in ihren Kompetenzen beschnitten. Es sollte einen Doppelprozess geben: Die nationalen Zuständigkeiten der Bonner Regierung waren zu 80 % auf dem Weg nach Brüssel, und zu gerade noch 20 % sollte „Berlin“ zuständig bleiben. Entscheidungen der Bundesregierung waren stets an die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages gebunden und damit an die demokratische Legitimation. Hat irgendjemand hierzulande mitbekommen, dass dies auch die Brüsseler Wirklichkeit gewesen wäre? Tatsächlich ist nichts von dem in Brüssel angekommen, was den hohen Standards der Bonner Demokratie entsprochen hätte. Stattdessen haben sich Lobbyformationen, Denkfabriken und sogenannte Nichtregierungsorganisationen über das hergemacht, was eigentlich und ausschließlich in den Händen der Bürger und ihrer frei gewählten Abgeordneten liegen sollte.

Für das politische Berlin sah es nicht anders aus. Ehemalige Bundestagspräsidenten konnten ein Lied davon singen, welcher aus den USA kommende Druck auf sie ausgeübt worden war, legislative und allgemeinstaatliche Aufgaben nicht mehr innerhalb der eigenen staatlichen Organisation bearbeiten zu lassen: Es sollte „outgesourct“ werden. Im Ergebnis bedeutete der Weg in die Berliner Republik, die gesamte Grundstruktur des demokratischen Bonner Staates abzubauen. Die Kompetenz wurde nicht nur in der genannten Form zwischen Brüssel und Berlin verschoben; die klassischen Formen staatlichen Handelns wurden insgesamt aufgegeben. Es entsprach lange der Tradition Deutschlands, in den Ministerien jeden Gesetzentwurf eigenständig zu erstellen. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 haben deutlich gemacht, in welcher Weise und in welchem Umfang sich amerikanische Anwaltskanzleien dieser originär staatlichen Aufgabe bemächtigt haben. Dadurch geht das gesamte tradierte Wissen der hiesigen öffentlichen Verwaltung verloren und wird auf Bevollmächtige anderer Staaten übertragen. Die Konsequenz: Fremdbestimmung pur.

Auch bei Gesetzesentwürfen und Vorlagen der Regierung weiß niemand mehr, wer eigentlich dahinter steckt und woher die wirklichen Triebkräfte rühren

Der Staatsbürger kommt in der Berliner Republik ebenso wenig vor wie in EU-Europa. Im politischen Bonn zählte Regierung und Parlament noch was. Berlin zeichnet sich seit dem Umzug von Regierung und vor allem Parlament vor allem dadurch aus, dass „folgenlos“ geredet wird. Auch bei Gesetzesentwürfen und Vorlagen der Regierung weiß niemand mehr, wer eigentlich dahinter steckt und woher die wirklichen Triebkräfte rühren. Beratungen kann man sich eigentlich sparen, weil alles auf die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse abgestellt ist.

Wer die Macht in Händen hält, wurde spätestens in Zusammenhang mit der Migrationsentwicklung deutlich. Jeder konnte feststellen, dass weder die Bundeskanzlerin, noch die zuständigen Minister oder die gewaltigen Beamtenapparate mit Konzepten kamen, die schließlich Regierungshandeln wurden. Nein, es waren Nichtregierungsorganisationen, die staatlichen Handeln initiierten! Böse Zungen wiesen darauf hin, dass George Soros als „Sponsor“ hinter allem stecke. Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu lesen, weiß um die frühe Einflussmöglichkeit von Nichtregierungsorganisationen. Da sitzt man bei Kamingesprächen innerhalb der „Netzwerke“ zusammen und bringt etwas auf die Schienen. Von diesen Möglichkeiten kann ein deutscher Parlamentarier nur träumen, der Bürger schaut gänzlich in die Röhre. Schlimmer noch: Den allermeisten die diese „schöne neue Welt“ Deutschlands noch nicht einmal bewusst.

Die „Bonner Republik“ ist Geschichte, der Pluralismus der großen Medien auch. Schlagseite hatte die Redaktionstuben immer, aber davon wusste man und konnte sich zurechtfinden. Heute findet man investigativen, hinterfragenden Journalismus nur noch in der alternativen Presselandschaft.

Die Vorbereitung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien stellte die Zäsur dar. Nicht nur wir Deutschen hatten gehörig die Nase voll von Krieg, nicht umsonst war den Europäern in der Charta von Paris „ewiger Friede“ versprochen worden. Doch bestimmte Kräfte wollten das überwinden. Erst wurden die Menschenrechte waffenfähig gemacht, dann die einstmals freie Presse. Wenn in diesen Tagen die schlimmsten unter denen, die die Pervertierung der Massenmedien zum NATO-Kampfinstrument zu verantworten habe, durch hohe Beamte aus dem Kanzleramt öffentlich geehrt werden, weiß man, wie weit die Degeneration politischer Werte bereits vorangeschritten ist. Unkontrollierbare Meinungsvielfalt wird zum Übel erklärt, das es auszumerzen gilt.

Erst wurden die Menschenrechte waffenfähig gemacht, dann die einstmals freie Presse

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Eine Regierung, die die deutsche Bevölkerung ab vom Jugoslawien-Krieg über den gegen den Irak und die Abschlachterei in Syrien oder Libyen nach Strich und Faden belogen hatte, zeigt sich paradoxerweise über „Fake News“ besorgt! Ein Satz aus der dunkelsten Vergangenheit Deutschlands feiert wieder fröhliche Urstände: „Was gesagt werden darf, bestimmt der Staat“.

Der „Versöhnungsgipfel“ zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer hat wohl deutlich gemacht, dass wohl an unseren Schulen demnächst „politische Bewusstseinsspaltung“ Pflichtfach werden soll. Immerhin weiß man bei den Parteien noch, woran man ist, schließlich gibt es für sie klare gesetzliche Regelungen wie etwa das Parteiengesetz.

Anders bei den Nichtregierungsorganisationen: Die gewaltige Einwirkung auf die staatliche Willensbildung über die Geschäftsordnung der Bundesregierung und dergleiche Einwirkungsmöglichkeiten in Brüssel lässt keine Rückschlüsse über innere Willensbildung oder tatsächliche Hintermänner zu. Jeder in Berlin wird nachdenklich, wenn er an Organisationen denkt, die aus einem befreundeten Verteidigungsministerium und von einem weltbekannten Financier mit gewaltigen Geldmitteln über Wasser gehalten werden.

Die Einwirkungsmöglichkeiten dieser Cliquen stellen das in den Schatten, was dem deutschen Souverän, dem Staatsbürger, zugebilligt wird. Das soll sich nun allerdings im Zusammenwirken zwischen dem neuen SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz und „Campact“ ändern. Öffentliche Ankündigungen des Kampagnenbetreibers Anfang Februar 2017 lassen nur den Schluss zu, dass man es jetzt nicht mehr darauf abgesehen hat, über die Geschäftsordnung auf die Regierung der Bundesregierung einzuwirken. Vielmehr wird die Wahlentscheidung der Bürger ins Visier genommen. Der angebliche Zugang zu Millionen Menschen wird als Transformationsvehikel für politische Vorstellungen genutzt. George Orwell hat gewonnen, und Maastricht ist vollendet. Das freie Europa gehört der Vergangenheit an. Dafür braucht man keine Staatsbürger mehr.

 

LITERATUR